Dunkler Schnee (German Edition)
dir doch Abendessen machen!“, ruft sie und löst sich aus der Umarmung. Adam lacht und meint, das sei eine gute Idee. Gemeinsam begeben sie sich in die kieferhelle Küche, die von einem chromfarbenen doppeltürigen Kühlschrank dominiert wird. Als Marisa ihn öffnet, um die Zutaten fürs Essen herauszuholen, meldet sich ihr Handy. Ihre Bewegungen erstarren; sie fühlt förmlich, dass ihr die Farbe aus dem Gesicht weicht wie aus einem Aquarellbild, das vom Regen abgewaschen wird. Der Dreiklang des Handys verstummt. Es ist eine SMS. Zögernd holt Marisa das Telefon aus ihrer Tasche. „Ich trau mich nicht. Ich hab keine Nerven mehr dafür. Ich will, dass es endlich aufhört!“ Hilfe suchend sieht sie Adam an. Der steht ebenso erschreckt mitten im Raum.
„Was ist, wenn ich die Nachricht einfach ignoriere?“, flüstert Marisa. „Wenn ich sie lösche, ohne sie gelesen zu haben?“ Sie hält das Handy mit vorgestreckten Armen in die Luft.
„Wozu ist Laurens fähig?“, fragt Adam leise; die Angst schwingt in seinen Worten mit.
Mit angerauter Stimme sagt sie stockend: „Die Nachricht kommt nicht von Laurens.“
23. Überstanden?
„Gute Nachrichten, Marisa! Laurens, ich meine Marco, ist festgenommen worden!“ Claus Demmer hatte noch eine schwache Stimme, aber seine Durchsetzungskraft und sein Ehrgeiz, wieder auf die Beine zu kommen, waren selbst am Telefon zu spüren. Marisa, die den Hörer mit leicht zitternder Hand hielt, antwortete: „Bist du ganz sicher?“
„Ja doch, meinst du, in der Angelegenheit scherze ich?“
„Nein, natürlich nicht. Heißt das, dass wir beruhigt schlafen können?“
„Nun ja, außer Untersuchungshaft droht ihm erst mal nichts. Unsere Anzeigen gegen ihn werden bearbeitet, und dann werden wir sehen, ob er zivilrechtlich oder strafrechtlich belangt wird.“
„Er wird schnell wieder frei sein, nicht wahr?“
„Vermutlich. Aber er wird uns nichts mehr tun, er ist aufgeflogen, und noch mal wird er es nicht wagen.“
„Hoffentlich! Danke, Papa“, sagte Marisa noch und verabschiedete ihren Vater mit gut gemeinten Ratschlägen zu dessen Genesung.
Sie legte auf und kuschelte sich wieder in ihre Decke auf dem Sofa. Der Fernseher lief, aber ihre Gedanken schweiften ab. Nebenan lagerten Laurens’ Sachen. Sie hatte alles in Kartons gepackt, wusste aber nicht, wohin damit. Sie hatte ein neues Türschloss einbauen lassen, um Laurens den Zutritt zur Wohnung zu verwehren. Trotzdem spürte sie noch immer Angst. Angst vor dem unerwarteten Zusammentreffen. Was würde er in Zukunft tun? Marisa wusste nicht, was in der Praxis ablief. Sie hatte sich noch ein paar Tage krankschreiben lassen, aber bald würde sie sich den Fragen der Kollegen stellen müssen. Wo ist Laurens? Warum habt ihr die Hochzeit abgesagt? Was ist passiert?
Ihr graute davor. Sie musste sich unbedingt eine plausible Lügengeschichte einfallen lassen. Die ganze Sache war bisher glimpflich abgelaufen, abgesehen von den Verletzungen ihres Vaters. Es durfte nicht schlimmer werden. Sie grübelte und vergaß darüber das laufende Programm. Erst das neuerliche Telefonklingeln riss sie aus den Gedanken.
„Hallo?“
„Marisa? Bist du’s?“
Oh Gott, Volker!
Marisas Herz schlug einen schmerzhaften Trommelwirbel. „Was willst du?“, fauchte sie.
„Du weißt über alles Bescheid?“
„Ich habe keine Ahnung, was ich alles nicht weiß, aber, ja, über eure miese Intrige bin ich bestens informiert. Lass mich in Ruhe!“
Sie wollte auflegen, aber er flehte: „Warte, bitte! Ich möchte mit dir reden. Bitte, Marisa, ich kann verstehen, dass du verletzt bist, aber es sind manche Dinge anders, als sie erscheinen.“
„Vergiss es! Lass mich in Ruhe! Ruf hier nie wieder an!“
Sie schubste den gesamten Telefonapparat mit einer heftigen Bewegung vom Tisch.
Am selben Tag kam Yvonne nach Köln und sie trafen sich in der Stadt.
„Ich hab kein gutes Gefühl, Yvonne“, vertraute Marisa der Freundin an. Sie schlenderten durch die Innenstadt, besuchten erst den Weihnachtsmarkt am Neumarkt, tranken Glühwein und bummelten dann Richtung Dom. Fast schien es Marisa, als versuche sie mit Gewalt, ein Weihnachtsgefühl zu erspüren. Trotz der üppigen Dekorationen, der verschiedenartigen Düfte in den Straßen und Geschäften und der Nachwirkung des gehaltvollen Glühweins misslang der Versuch kläglich. Sie fühlte sich fremd, wie ein Alien oder wie jemand, der aus einer anderen Zeitzone am falschen Ort gelandet ist.
„Meinst du,
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