Dunkler Schnee (German Edition)
hilfst du mir packen?“
„Sicher. Na, komm, es wird schon wieder.“ Gudrun gab ihrem Mann ein Zeichen zu gehen.
„Ich werde dann mal Anzeige erstatten, hab ja schon Übung darin“, brummte Claus und ging zurück ins Wohnzimmer.
Die beiden Frauen sahen sich an und rangen sich ein Grinsen ab. „Galgenhumor“, sagte Gudrun, „besser als gar kein Humor.“
Claus Demmer traf eine Stunde später als Frau und Tochter bei sich zu Hause ein. Marisa sah ihn müde, aber gespannt an. „Und?“
Claus setzte sich, sein Atem ging schwer, sein Gesicht war blass. Gudrun strich ihm besorgt über die Schulter. „Hier“, sagte sie, „trink einen Tee.“ Sie reichte ihm eine dampfende Tasse.
„Also“, begann Marisas Vater, nachdem er vorsichtig einen Schluck genommen hatte, „Laurens respektive Marco Schueler ist noch in Haft.“
Mit großen Augen setzte sich Gudrun neben ihre Tochter. Schützend legte sie den Arm um sie. Marisa saß mit aufgerissenem Mund da. Sie wollte „Ach!“ oder „Wie geht das denn?“ rufen, aber jeder Ton blieb im Hals stecken.
Claus fuhr fort: „Ich habe Anzeige gegen Unbekannt erstattet, habe aber natürlich den Hinweis auf diesen Herrn Meerbusch gegeben. Man will der Sache nachgehen. Als gestohlen habe ich deinen Schmuck, die 750 Euro aus der Tasche und den Computer angegeben – war das so weit richtig?“
Marisa nickte.
„Dass seine persönlichen Sachen auch fort sind, habe ich natürlich erwähnt als Hinweis, dass er selber den Einbruch verübt hat oder jemand in seinem Auftrag unterwegs war.“
Marisa nickte wieder.
„Du musst natürlich als Geschädigte noch deine Unterschrift leisten. Ich habe darum gebeten, alles Weitere auf Morgen zu verschieben.“
Marisa stand auf und umarmte ihren Vater. „Danke, Paps, wenn ich dich nicht hätte.“ Sie flüsterte die Worte fast, und in ihrem Kopf tobten die Gedanken. Wie konnte Volker so etwas tun? Er hatte doch so besorgt geklungen, was für eine Farce! Wie blöd, dass sie schon wieder an etwas hatte glauben wollen, was offensichtlich nicht da war. Irgendwas war ganz schrecklich faul an der Sache!
Die Tage vergingen. Marisa wohnte vorübergehend im Dachgeschoss ihrer Eltern. Abends saß die kleine Familie zusammen, plauderte möglichst über Belangloses und trank ein Glas Wein. Marisa sah ihrem Vater förmlich an, wie er die Milliliter, die sie konsumierte, in einer imaginären Liste addierte. Dessen Bemerkungen zu ihrem „Hang zum Alkohol“ und den Vorschlag, sich von „kompetenter Seite“ beraten zu lassen, schmetterte sie regelmäßig mit den Worten „Ich brauch keinen Psychofuzzi!“ ab. Claus Demmer sah dann sorgenvoll zu seiner Frau, die nur mit den Schultern zuckte. Nur zögerlich bekam Marisa ein zweites Glas eingeschenkt.
Eines Abends war kein Alkohol im Haus. Marisa suchte und fragte schließlich ihre Mutter: „Warst du nicht einkaufen?“
Gudrun antwortete frank und frei: „Vater und ich glauben, du hast ein ernsthaftes Alkoholproblem. Wir möchten es eine Weile ohne Alkohol versuchen und hoffen auf deine Einsicht.“
Mit offenem Mund sah Marisa ihre Mutter an, dann sagte sie nur: „Ts! Das wird ja immer schöner!“ Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, hielt sich mit der anderen am Schrank fest, merkte, wie sich ein Zittern durch ihre Arme bis in die Fingerspitzen drängte, sagte noch einmal: „Ts!“ und verließ das Haus mit Türenknallen. Sie sprang in ihr immer noch nicht repariertes Auto und fuhr zur nächsten Tankstelle. Mit einer Flasche Wein und schlechtem Gewissen fuhr sie weiter bis ans Rheinufer, parkte irgendwo im Dunkeln, ging über einen Radweg quer über die Poller Wiesen bis zum Kiesstrand des Stromes, an dem sich die kleinen, anrollenden Wellen mit leisem Plätschern brachen. Es war kalt, sie knöpfte die Jacke bis oben zu. Gegenüber lagen im Grau der Nacht die alten Lagergebäude des Rheinauhafens, jetzt modernisiert und einer neuen Nutzung zugeschrieben. „Mein Leben muss auch modernisiert werden, verdammt! Kann doch nicht sein, dass alles den Bach runtergeht“, schimpfte sie in sich hinein. Sie blickte die Flasche in ihrer Rechten an. „Bin ich auf dich angewiesen?“ Phlegmatisch schraubte sie die Flasche auf. Beim Einkauf hatte sie extra auf einen Schraubverschluss geachtet, um den Wein problemlos öffnen zu können. Sie wusste, dass sie sie besser geschlossen hielt, dass sie sie besser gar nicht erst gekauft hätte, dass ihre Eltern mit ihren Sorgen richtig lagen. Sie wusste
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