Dunkler Schnee (German Edition)
von dir behandelt werde, alles andere hat sich, was mich angeht, entwickelt. Und ich hatte nicht vor, mich ernsthaft zu verlieben!“ Er machte eine Pause. „Es ist passiert, ich hab dich gesehen und dachte: Wow! Marco ist ein Vollidiot! Wie kann er eine solche Frau haben und diese Chance nicht nutzen!“
Marisa schluckte; konnte sie ihm glauben?
Volker fuhr fort: „Marisa, ich bin nicht der Typ für schnulzige Candle-Light-Geschichten, aber als ich dich sah, drehte sich meine ganze Welt auf den Kopf. Ich hatte Angst um meine Schwester, meine ganze Familie, und hatte Angst um dich und letztendlich wohl auch um mich, weil mir schnell klar wurde, dass ich aus dieser Sache nicht unverändert herauskomme.“
Volker winkte dem Kellner; aus seinem dunklen Haarschopf blitzte es hier und da silbrig auf; Marisa schaute fast verträumt zu, wie er für sich ein weiteres Bier und für sie eine Apfelschorle bestellte. Konnte das alles wahr sein? Konnte sie ihrem Bauch- und Herzgefühl trauen und den Kontakt zu diesem Mann erhalten?
Sie würde so gerne!
Als die Hauptspeise serviert wurde, beschlossen sie stillschweigend das Thema „Marco“ zu beenden. Es war alles gesagt, was zu diesem Zeitpunkt wichtig erschien. Volker hatte um Verzeihung gebeten, die Marisa ihm wörtlich noch verwehrte. In Gedanken hatte sie längst alles Verständnis dieser Welt aufgebracht und seine Lage zu verstehen versucht. Sie sah sich selbst, Volker, dessen Schwester mit Freund als Opfer von Marco. Was gab es noch dazu zu sagen? Sie wollte diesem Kriminellen keine weitere Bedeutung beimessen, besser war es, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Und da saß Volker mit seinem südländischen Teint, mit seinem ruhigen Wesen, unauffällig, aber so präsent, wie ihr noch kein Mann vorher erschienen war.
Sie verbrachten die Nacht zusammen in Marisas Bett. Mit dem Taumel der Erleichterung und des Verzeihens und ohne den bitteren Beigeschmack, Verbotenes zu tun, ließen sie sich aufeinander ein; atemlos, skrupellos, eins mit der Sommerhitze. Erst gegen Morgen fiel Marisa in einen traumlosen Schlaf, der das merkwürdige Gefühl, das nach dem Sex ihr Bewusstsein beschlich, überdeckte.
Am späten Vormittag erwachte sie. Der dunkelgrüne Vorhang blähte sich; Sonnenlicht fiel periodisch mit der Bewegung des Vorhangs auf ihr Gesicht. Sie rollte sich auf den Rücken und streckte den ganzen Körper. Volker war nicht da. Nicht überrascht drehte sie sich wieder auf die Seite. Zum Aufstehen verspürte sie keine Lust, aber der Gedanke an den gestrigen Abend verhinderte ein neuerliches Einschlafen. Dann setzte sie sich ruckartig auf und benutzte die Finger zum Zählen. „Verdammt!“, entfuhr es ihr, dann blickte sie auf den Wandkalender, sie rechnete noch einmal, ließ sich wieder aufseufzend ins Kissen fallen. Ihre Zyklusmitte war schon vorüber. Das plötzliche Herzklopfen ließ nach, sie atmete wieder ruhiger. Dann grinste sie in sich hinein und ließ die Nacht Revue passieren. Einmal, zweimal, dreimal … doch dann kam wieder diese dumme Angst, etwas Blödes getan zu haben. Es zu bereuen, dass irgendwann in der Nacht alles egal gewesen war: Wie hatte sie nur so dumm sein können, auf Verhütung zu verzichten?
Nach zehn Minuten entschied sie, nun doch den Tag zu beginnen. Am Spiegel im Bad klebte ein Zettel: „Unvergesslich!“ stand darauf mit einem Smiley darunter.
Lächelnd nahm sie den Zettel ab.
27. Nova Scotia – Halifax Downtown
Die Waterfront von Halifax, wo sich im Sommer Touristen und Einheimische tummeln, Fressbuden und Souvenirläden dicht an dicht liegen und die Schiffseigner sich um die Gunst der Ausflügler mit Werbeschildern und Preisangaben überschlagen, liegt weitgehend im Dunklen. Spärlich beleuchten Straßenlaternen den diesigen Winterabend und spenden der verwaisten Amüsiermeile müde und nur punktuell ein wenig Licht. Im Hafenbecken kräuselt sich das Wasser des Atlantiks wie eine aufgeraute Teermasse; ab und zu gluckert es an den Holzbohlen und Stegen. Verlassen wie Gräber liegen wenige Schiffe vor Anker. Adam parkt seinen Wagen auf einem ansonsten leeren Parkplatz, wenige Meter von der Wasserkante entfernt. Vermummt mit Mützen und Schals wenden sich Marisa und Adam von der Hafenseite ab und gehen einen Block hoch mitten in die Downtown, eilen zwischen Bankgebäuden, an der Art Gallery und etlichen finsteren Hauseingängen vorbei, umgehen die gefrorenen Urinpfützen, die von Studenten stammen, die sich periodisch vor
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