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Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Inbegriff eines tadellosen, wenn auch ein wenig eitlen, aus einfachen Verhältnissen stammenden Jungen durchgemacht, der sich ganz in den Dienst der Gerechtigkeit stellen wollte. Ich hätte mir keinen besseren Zeugen wünschen können.
    »Sind Sie sicher, daß der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, als Roseanne Hazlitt noch lebte, besinnungslos war?« fragte ich.
    »Der Typ war völlig weggetreten. Der hat nix mehr mitgekriegt. Ich hab mir Sorgen um ihn gemacht«, erwiderte Virgil.
    »Wieso Sorgen?«
    »Weil ich gedacht hab, daß er vielleicht tot is.«
    Doch dann, als die Richterin Marvin fragte, ob er den Zeugen ins Kreuzverhör nehmen wolle, wurde mir klar, daß Ungemach drohte.
    »Im Augenblick habe ich keine Fragen, Euer Ehren. Aber wenn es Ihnen recht ist, möchte ich den Zeugen vielleicht später noch einmal aufrufen«, sagte er.
    Um 16 Uhr 25 rief ich Jamie Lake auf, was wiederum hieß, daß sie die letzte Zeugin an diesem Tag war und daß ihre Aussage den Geschworenen über Nacht am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben würde. Ich traute meinen Augen kaum, als sie auftrat. Sie trug Sandalen, Reifohrringe, ausgeblichene Jeans, die knapp unter der Hüfte saßen, und ein bunt eingefärbtes Strandhemd, das die Drachentätowierungen auf ihrer Schulter eher betonte, als daß es sie verdeckte. Sie hatte sich blonde Strähnen färben lassen und die Haare hochgesteckt wie eine Fabrikarbeiterin aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie ließ eine Kaugummiblase platzen, als sie zum Zeugenstand ging, wiegte sich in den Hüften und warf einen Blick auf die Geschworenenbank, als betrachte sie einen Haufen Hühner, die auf der Stange hockten.
    Diesmal verzichtete Marvin Pomroy nicht auf das Kreuzverhör.
    »Waren Sie der Meinung, daß der Angeklagte tot sei?« fragte er.
    »Nein«, antwortete sie.
    »Warum nicht?«
    »Weil er geatmet hat. Tote atmen nicht.«
    »Danke für den Hinweis. Hat Ihnen jemand Geld dafür gegeben, daß Sie heute hierherkommen?« fragte er.
    »Nein«, erwiderte sie.
    »Hat jemand Ihrem Freund Virgil Morales Geld dafür gegeben, daß er heute hierhergekommen ist?«
    Sie kaute ihren Gummi, hob die rechte Hand und musterte die Ringe an ihren Fingern.
    »Haben Sie die Frage verstanden?« sagte Marvin.
    »Ja, ich denk grad nach. Wieso fragen Sie mich das und nicht ihn? Etwa weil ich blöd bin und er schlau is, oder weil ich schlau bin und Virgil ein Mex is, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat?« erwiderte sie.
    »Haben Sie heute irgendwelche Betäubungsmittel genommen, Miss Lake?«
    »Ja, ich hab grad beim Gerichstdiener ein bißchen Speed abgestaubt. Wo hat man Sie denn hergeholt?«
    Danach präsentierte Marvin die per Gerichtsbeschluß von der Bank angeforderten Unterlagen mit dem jeweiligen Kontostand von Jamie Lake und Virgil Morales.
    »Sowohl Sie als auch Virgil haben vor drei Wochen, und zwar am gleichen Tag, jeweils fünftausend Dollar eingezahlt, Miss Lake. Wie sind Sie zu dieser stattlichen Summe gekommen?« fragte Marvin.
    »Ich hab gar nix eingezahlt. Es war einfach da, nachdem ich meine Aussage gemacht hab«, sagte sie.
    »Aber mit Ihrer Zeugenaussage heute hat das nicht das geringste zu tun? Es hat sich nur so ergeben?«
    »Ich hab meinen Urin untersuchen lassen und einen Lügendetektortest gemacht.«
    »Sie haben Geld dafür bekommen.«
    »Der Typ da drüben, dieser Lucas, der hat ausgesehn wie ne Leiche, die grad aus dem Kühlfach gefallen is. Spielen Sie doch von mir aus weiter mit Ihren Hosenträgern, wenn Ihnen das, was ich sage, nicht paßt. Entschuldigung, ich nehm’s zurück. Lecken Sie mich kreuzweise, Sie mickriger kleiner Trottel.«
    Angeschmiert und ausgetrickst – und ich war glatt darauf reingefallen.
    Eine Stunde später fuhr ich Mary Beth zu unserem kleinen Flugplatz. Die Fenster meines Wagens hingen voller Regentropfen, und Wetterleuchten zuckte über den Hügeln.
    »Nimm’s nicht zu schwer«, sagte sie.
    »Es war ein abgefeimter Trick. Die beiden haben die Wahrheit gesagt, aber jemand hat ihnen Geld gegeben, und damit nutzt ihre Aussage nur der Anklage.«
    »Haben Felix Ringo und Jack Vanzandt sie zu dir geschickt?«
    »Reden wir über was anderes.«
    »Tut mir leid.«
    Es war sinnlos. Alles, was ich zu ihr sagte, war falsch. Wir standen unter einem Schuppen, von dem der Regen tropfte, und sahen zu, wie eine zweimotorige Maschine, deren Propeller das Wasser auf dem Vorfeld aufwirbelten, auf uns zurollte. Ich spürte, daß etwas zu Ende ging, ohne es benennen zu können.
    »Ich

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