Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
den Stadtrand zu einem vierstöckigen, von oben bis unten mit schwarzem Glas verkleideten Gebäude, in dem sich die Geschäftsräume von Jack Vanzandt befanden. Sein riesiges Büro war mit beigem Teppichboden ausgelegt, der sich weich wie ein Bärenfell anfühlte, und mit lauter weißen und onyxschwarzen Möbeln eingerichtet. Die Glaswand hing voller Kletterpflanzen.
Ich ließ mich auf einem ledernen Polstersessel nieder und schlug die Beine übereinander. Der Anlaß meines Besuchs lag mir schwer im Magen.
»Wollen Sie eine Ladung Computer kaufen?« fragte Jack und grinste.
Eine Tür ging auf, und Jacks Frau kam aus der Toilette. Ich stand auf.
»Hallo, Emma. Ich habe nicht gewußt, daß Sie hier sind«, sagte ich.
»Guten Morgen, Sir. Wo haben Sie Ihre Kamera?« fragte sie.
»Vielleicht sollte ich lieber später wiederkommen. Ich wollte euch nicht stören«, sagte ich.
»Nein, nein, ich freue mich, daß Sie vorbeigekommen sind. Was gibt’s?« fragte Jack.
»Es geht um Darl.«
»Aha?« sagte Jack.
»Ich kann ihn nicht vertreten.«
Sie schauten mich fragend an.
»Und warum nicht?« erwiderte Jack.
»Ich gerate in einen Interessenkonflikt. Ich wurde vorher von Lucas Smothers verpflichtet, und ich glaube, daß Ihr Sohn in der Nacht, in der Roseanne Hazlitt zusammengeschlagen wurde, im Shorty’s war.«
»Das trifft vermutlich auf einen Großteil der Jugendlichen in der Stadt zu«, sagte Jack.
»Darl könnte womöglich im Prozeß gegen Lucas als Zeuge aufgerufen werden«, erwiderte ich.
Ich sah, wie Jack überlegte, eins und eins zusammenzählte und mich finster musterte.
»Nein, es geht um mehr, nicht wahr?« Er deutete mit dem Finger auf mich. »Sie wollen, daß man Darl verdächtigt, damit Lucas fein raus ist.«
»Nein.«
»Tja, meiner Meinung nach sollten Sie sich was schämen, Billy Bob«, sagte Emma.
»Tut mir leid«, sagte ich und stand auf. Mir war mit einemmal warm, so als sei der Raum überheizt, und die Luft roch stickig und streng nach dem Kunstdünger in den Pflanzenkübeln.
Jack erhob sich ebenfalls. Er stützte die Fingerkuppen auf die gläserne Schreibtischplatte, baute sich zu voller Größe auf. Doch mit dem lavendelfarbenen Hemd mit weißem Kragen und umgeschlagenen Doppelmanschetten und der offenen Krawatte wirkte er geradezu lächerlich.
»Soll ich Ihnen gleich einen Scheck ausstellen, oder schreiben Sie mir noch eine Extrarechnung für das Foto, mit dem Sie meinem Sohn einen Mord anhängen wollen?« sagte er.
»Ich bin nicht zuständig für die Entwicklung Ihres Sohnes oder für seine Probleme ...«Ich schüttelte den Kopf. »Ich bitte um Entschuldigung. Ich gehe jetzt lieber«, sagte ich.
»Jack, laß das nicht zu. Wir müssen uns zusammensetzen und die Sache bereden«, sagte Emma.
»Das fällt mir im Moment ziemlich schwer. Verlassen Sie mein Büro, Billy Bob«, sagte er.
Mein Hals glühte, als ich wieder draußen war, und meine Hände fühlten sich steif und nutzlos an.
10
Als Lucas Smothers am nächsten Tag mit seinem Vater zur Arbeit kam, berichtete er mir von dem nächtlichen Besuch, den ihm Leute abgestattet hatten, mit denen er zur Schule gegangen war.
Sie schalteten die Scheinwerfer aus, bevor sie zu Lucas’ Haus fuhren, aber er hörte die Radiomusik durch das offene Fenster und die Stimmen der Mädchen. Die Autos, fünf insgesamt, hielten mitten auf der Straße, standen mit leise tuckernden Motoren da, und die von Hand polierten Karosserien schimmerten im Mondlicht wie frisch gegossenes Plastik.
Dann bog der vorderste Wagen in die Auffahrt ein, gefolgt von den anderen. Sie karriolten quer über den feuchten Rasen, schleuderten Grassoden auf, walzten die Sprinkleranlage nieder und pflügten durch die Blumenbeete.
Ein Mädchen, das einen metallischen Gegenstand in der Hand hatte, sprang aus einem Wagen und bückte sich vor dem Schlafzimmerfenster. Er hörte etwas zischen, sah dann, wie sie sich aufrichtete und ihn anschaute. Nein, das stimmte nicht ganz. Sie nahm ihn überhaupt nicht wahr, so als ob es ihr gleichgültig sei, daß er da war und miterlebte, wie sie sein Zuhause heimsuchten. Ihr hübsches Gesicht war ausdruckslos, der Mund gespitzt und verkniffen.
»Was macht ihr da?« fragte er mit belegter Stimme.
Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn gehört hatte. Ihr Gesicht war gerötet und strahlte vor Vergnügen, als sie sich umdrehte und ausgelassen wie ein Reh zu ihren Freunden zurücksprang, die sie kichernd wieder ins Auto zogen.
Als Lucas und
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