Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
-egal, ob er sie sich beim Sturz von einer Leiter zugezogen hatte oder bei einer Messerstecherei in einer Bar – siebzig Meilen weit gefahren, ohne Hilfe zu suchen. Im Gegenteil, er hatte einfach Gas gegeben, wenn jemand an einer roten Ampel in das Führerhaus seines Pickup schaute, allmählich begriff, was er da sah, und dann fassungslos und wie betäubt stehenblieb.
Sein Gesicht war rundum verbunden, und er schaute uns aufmerksam an, so als achte er nur noch darauf, ob ihm jemand etwas zuleide tun könnte. Dann nahm er uns wahr, tat uns als harmlos ab und versank wieder in seiner Lethargie, in der er nur noch Gegenstände und Geräusche wahrnahm, von denen er sich etwas versprach – die Brusttasche meines Hemds, weil dort Zigaretten stecken könnten, das Scheppern des Speisekarrens draußen auf dem Flur, einen Fernsehfilm, in dem sich japanische Samurai einen Fechtkampf lieferten.
»Erinnern Sie sich an mich?« fragte ich.
»Wo is Ihr Pferd?« erwiderte er.
»Sie haben doch nichts dagegen, daß wir hier sind, oder?«
»Is mir scheißegal, was ihr macht«, sagte er.
»Sie können Garland Moon reinreiten, Roy. Der Typ ist überfällig«, sagte ich.
Er hatte feine weiße Fältchen um die Augen, und seine Haut wirkte krank und blaß. Auf der einen Seite spannte sich der Verband flach über Haut und Knochen. Als er den Kopf auf dem Kissen umdrehte, zuckte ein Nerv an seinem Hals, als ob er sich an einer Fischgräte verschluckt hätte. Meiner Meinung nach hatte er Schmerzen.
»Ich zieh rüber an die Küste, fang von vorne an. Ich hab die Rumtreiberei satt. Ich bin von ner Leiter gefallen«, sagte er. Er wandte den Blick ab und starrte ins Leere.
»Hören Sie mal zu«, sagte Temple. »Hier werden Ohren nicht wieder angenäht. Und die Krankenkasse zahlt auch nicht die Schönheitsoperation an einem zerschnittenen Gesicht. Woher wissen wir überhaupt, daß Sie hier sind? Weil er raus zu Billy Bobs Haus gekommen ist und sich über Sie krankgelacht hat.«
Seine Augen wurden trüb, und er wandte den Kopf ab, blickte zur offenen Tür, zu den Geräuschen draußen auf dem Flur, den Menschen, die dort entlanggingen, mit Eßgeschirr klapperten, Blumen und Obstkörbe abgaben, all die wundersamen Dinge mitbrachten, die der Alltag einem bieten konnte.
»Sehen Sie’s doch mal anders rum. Sind die Leute, die Sie auf ihn gehetzt haben, schon mal hier gewesen? Haben die Sie besucht, die Arztkosten bezahlt, Ihnen erkärt, es täte Ihnen leid, daß der Schuß nach hinten losgegangen ist?« sagte ich.
Aber mit gutem Zureden und Appellen an die Vernunft ließ sich die Erinnerung an den Augenblick nicht tilgen, da Roy Devins, ein Drogendealer und Kinderschänder, ein abgebrühter Sträfling und totaler Versager, meinte, er könnte mit einem Baseballschläger in ein Motelzimmer stürmen und Garland T. Moon einen Schrecken einjagen, einem Mann, der seiner Ansicht nach weder stärker noch schwächer, besser oder schlechter war, weil er keine Ahnung hatte, daß sämtliche schlimmen Erfahrungen, die er in Bezirksgefängnissen und staatlichen Haftanstalten gesammelt hatte, ebenso nutzlos waren wie all die anderen Erkenntnisse, die sich immer dann als trügerisch erwiesen, wenn er meinte, er sei im Begriff, jene Zauberpforte aufzustoßen, zu der jeder außer ihm Zutritt hatte.
Ich saß auf einer Bank neben der schlichten Kirche, in der Pete und ich zur Messe gingen, und sah zu, wie Pete und etliche andere Jungs in seinem Alter auf dem Baseballplatz der Schule trainierten. Im Schatten unter dem Mimosenbaum tanzten kleine Sonnenkringel, und Beau, mein Morgan, graste neben dem Abwassergraben, der an den Kirchhof grenzte. Ich schlug den dicken Deckel von Urgroßpapa Sams Tagebuch auf und blätterte zu der Seite, an der mein Lesezeichen steckte.
21. Juli 1891
Ich glaube, sie wollen einen Zug überfallen.
27. Juli 1891
Vor drei Tagen sind sie gen Osten geritten, in die rotglühende Morgensonne hinein, die so heiß war, als ob sie aus des Satans Esse stamme. Sie waren betrunken, als sie gestern nacht zurückkamen, haben nach Weibern, Bier und Kutteln gestunken, die sie mit den Händen aus einem Lederbeutel gegessen haben. Im Badehaus in Fort Smith haben sie ihr geraubtes Geld jedenfalls nicht gelassen. Wenn man die mal einweichen täte, damit sie die Läuse und Zecken loswerden, würde das Wasser wahrscheinlich auf der Stelle schwarz werden und man müßte es aus dem Bottich schaufeln und mit Petroleum verbrennen.
Ich habe
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