Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
darauffolgenden Nachmittag meldete sich Mary Beth am Telefon.
»Stimmt irgendwas nicht?« fragte ich.
»Nein. Was sollte denn sein?«
»Dein Anrufbeantworter war abgeschaltet. Ich habe dich nirgendwo gesehen.«
»Kann ich dich später zurückrufen?«
Tat sie aber nicht. An diesem Abend fuhr ich zu ihrem Apartment. Menschen schwammen im Pool, als ich die Treppe hochging, kraulten im Scheinwerferlicht, das rauchig durch das türkise Wasser schimmerte, und die Luft roch nach Chlor, brennenden Holzkohleanzündern und nach Blumen, die vom Licht der bunten, in den Beeten angebrachten Strahler überhitzt waren.
Ein stämmiger Mann mit Krawatte und Anzug kam aus Mary Beths Apartment und rannte mich fast über den Haufen. Ich trat einen Schritt zurück und betastete die Stelle an meiner Brust, wo er mich erwischt hatte.
»Entschuldigung«, sagte ich.
Er schob seine Brille zurecht und schaute mich an, als kenne er mich. Seine dunklen Haare waren tadellos gekämmt, der Scheitel zog sich wie ein blasser, schnurgerader Strich über seinen Kopf. Er hatte ein gespaltenes Kinn, war frisch rasiert, und seine Haut war straff und duftete nach Cologne.
»Macht nichts«, sagte er.
»Macht nichts?«
»Ich habe gesagt, daß es mir leid tut, Mann. Ich hab Sie nicht gesehen.«
»Komisch, aber ich habe nichts gehört«, sagte ich.
Er wollte sich abwenden, streckte dann die Brust raus und zog den Bauch ein, so als wolle er sich nicht länger mit Höflichkeitsfloskeln abgeben, baute sich breitbeinig vor mir auf und schob den linken Fuß ein Stück vor.
»Gibt’s einen Grund dafür, daß Sie mich so anglotzen?« fragte er ruhig.
»Nicht den geringsten.«
Er warf einen Blick zurück zu Mary Beths verschlossener Tür. »Einen schönen Abend noch. Am besten fahren Sie, wenn Sie sich auf keinerlei Zicken einlassen«, sagte er. Er hob den Finger, zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch und ging dann die Treppe hinunter.
Sie hatte ihre Uniform an, als sie mich hereinließ. Auf ihren Wangen waren rote Flecken, und ihre Stimme klang eine Idee zu schrill. Sie strich die Sofakissen glatt, rückte die Illustrierten zurecht, obwohl es nicht nötig war, und kehrte mir den Rücken zu.
»Tut mir leid, aber ich hab’s eilig. Ich muß in zwanzig Minuten zum Dienst antreten«, sagte sie.
»Der Typ ist vom FBI.«
»Was denn, hat er dir etwa seine Dienstmarke vorgehalten?«
»Nein, aber er ist ein aufgeblasener Bürohengst, der meint, als Polizist kommt man mit Arroganz weiter.«
»Du magst sie nicht besonders, was?«
»Er sollte sich nicht hier rumtreiben. Wenn ich ihn durchschaue, können’s andere auch.«
»Ich muß los, Billy Bob.« Sie nahm ihren Waffengurt von der Garderobe und schnallte ihn um. Sie steckte ihre Bluse in den Gürtel, zog sie straff und schaute dabei unverwandt auf ihre Hände.
Ich wartete, bis sie wieder aufblickte. »Hast du ein Verhältnis mit dem Typ?« fragte ich.
»Das muß ich dir nicht auf die Nase binden.« Ich sah, wie sie die Wangen einsog, so als sei sie über ihre eigenen Worte erschrocken.
»Er bringt dich in Gefahr. Ich mag ihn nicht. Stört dich das?« fragte ich.
Sie nahm ihre Handtasche von der Anrichte, die die Küche vom Wohnzimmer trennte. Sie hatte sich von mir abgewandt, drückte die Finger an ihre Schläfe.
»Ich gehe jetzt, und ich äußere mich auch nicht mehr dazu. Willst du mich zum Parkplatz begleiten oder hierbleiben?«
»Jemand versucht Garland Moon aus der Stadt zu verscheuchen. Weil er irgend etwas weiß. Aber er hat keine Ahnung, worum es sich handeln könnte.«
Sie schaute mich verdutzt an, wirkte plötzlich offen und ehrlich wie ein Schulmädchen.
Temple Carrol saß in dem Hirschledersessel in meinem Büro, als ich am nächsten Tag in die Kanzlei kam.
»Ich habe den Mann gefunden«, sagte sie.
»Wie das?«
»Er hat den Leuten in der Notaufnahme erzählt, er wäre beim Anstreichen von der Leiter gefallen und durch ein Fenster gestürzt. Die waren der Ansicht, daß er mit einem Messer verletzt wurde, und haben es gemeldet.«
»Warum haben sie ihm nicht geglaubt?«
»Jemand hat ihn sich zuvor schon mal vorgeknöpft. Ein Notarzt hat gesagt, es sieht so aus, als ob er mit einem Seil rumgeschleift worden wäre.« Sie stützte das Kinn auf die Hand, schaute mich an und wartete, bis es mir dämmerte.
Er hieß Roy Devins, hatte zweimal in Huntsville eingesessen und möglicherweise ein weiteres Mal, unter einem anderen Namen, unten in Mexiko, und er war trotz seiner Verletzungen
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