Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
mußte er heraustreten, wurde verschwitzt und schmutzig, wie er war, in den Zellenblock gebracht, durfte weder duschen noch essen und mußte gemeinsam mit zwei anderen bis zum nächsten Morgen auf einem Ölfaß stehen. Wenn er herunterfiel, bekam er es mit dem Aufseher zu tun.
Moon war zweimal mit Kopfwunden und gebrochenen Fußknochen in die Krankenstation eingeliefert worden. Ein Grund für die Verletzungen wurde nicht angegeben. Die Einlieferungen ins Krankenhaus erfolgten jeweils nach Fluchtversuchen. Man hatte ihm den Magen mit flüssigem Abflußreiniger verätzt, hatte ihn mit dem Rücken an einen heißen Heizkörper gehalten, ihm die Waden mit glühenden Kleiderbügeln gebrandmarkt. Den Akten nach zu schließen hatte er keinerlei Freunde gehabt und war unter den Mithäftlingen ebenso verhaßt gewesen wie beim Personal.
Aber wozu sollte es gut sein, sich mit all den Greueltaten auseinanderzusetzen, die man Garland T. Moon angetan hatte, einer Grausamkeit, die er sich schließlich selbst zu eigen gemacht, in die er sich hineingesteigert und die er systematisch an anderen ausgelassen hatte? An dem Tag, an dem man jemanden wie Moon verstand, überschritt man eine Grenze und wurde genauso wie er.
Ich mußte wissen, was um das Jahr 1956 zwischen ihm und meinem Vater vorgefallen war. Moon hatte gesagt, mein Vater habe ihn in seinen Pickup geladen und auf freier Strecke abgesetzt, ohne Essen, Geld oder eine Unterkunft. Mein Vater war ein gutmütiger und anständiger Mann gewesen, der nicht so leicht wütend wurde und über manch einen Fehler hinwegsah. Wenn Moons Geschichte stimmte, mußte er entweder ein abscheuliches Verbrechen begangen oder eine derart große Gefahr für andere dargestellt haben, daß mein Vater keinerlei Bedenken gehabt hatte, einen ungebildeten, sexuell mißbrauchten Jungen seinem Schicksal zu überlassen.
Ich blätterte zu den ersten Eintragungen in Moons Akte zurück. Im Februar 1956, mit siebzehn Jahren, war er aus dem Bezirksgefängnis entlassen worden. Danach blieb er eine Zeitlang unbescholten, bis zum 17. August des gleichen Jahres. Unter diesem Datum standen, fein säuberlich getippt die Worte »mutmaßliche Entführung«, aber ohne eine weitere Erklärung.
Ich ging quer über den Platz zum Zeitungsgebäude und fragte, ob ich im Archiv etwas nachschlagen dürfte. Die Ausgaben aus dem Jahr 1956 waren nicht auf Mikrofilm erfaßt, sondern nach wie vor gebunden, mit schweren grünen Buchdeckeln, deren Kanten sich im Lauf der Jahre grau verfärbt hatten. Ich schlug bis zum August zurück und stieß auf einen Einspalter auf der letzten Seite, einen Bericht über ein zehnjähriges Negermädchen, das vermißt und später in einer Höhle entdeckt worden war, wo es sich versteckt hatte. Die Kleine erklärte den Polizisten, ein Weißer sei auf ihren Hof gekommen und mit ihr in den Wald hinter ihrem Elternhaus gegangen. Sie verweigerte jegliche Auskunft darüber, was in dem fraglichen Zeitraum, bis sie von den Deputy Sheriffs aufgefunden wurde, vorgefallen war.
Vier Tage später kam ein weiterer Bericht, in dem es hieß, daß ein Jugendlicher festgenommen und in Zusammenhang mit der Entführung des Mädchens verhört worden sei. In dem Artikel wurde kein Name genannt, sondern nur darauf verwiesen, daß er in der Nähe des Elternhauses des Mädchens an einer Pipeline gearbeitet habe.
Der Jugendliche wurde wieder freigelassen, als die Eltern keine Anzeige erstatteten.
Der Artikel war am 18. August veröffentlicht worden, einen Tag nach dem Eintrag in Garland T. Moons Strafregister.
Ich ging wieder auf die andere Straßenseite und warf Moons Akte auf den Schreibtisch des Sheriffs.
»Tut mir leid, aber ich konnte Cleo nicht finden«, sagte ich. »Übrigens sind im Mordfall Roseanne Hazlitt ein paar Beweismittel verschwunden, die meinen Mandanten entlasten könnten. Es handelt sich um einige Flaschen und Bierdosen, die Ihre Deputies am Tatort aufgelesen haben. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie in den Zeugenstand rufe, Hugo?«
Petes Mutter wartete auf mich, als ich in die Kanzlei zurückkam. Sie trug eine rosa Kellnerinnenuniform und hatte ihre glatten, farblosen Haare hinten zusammengebunden. Sie drehte fortwährend am Plastikarmband ihrer Uhr.
»Die Sozialarbeiterin sagt, sie muß ein Gutachten schreiben. Wenn Pete nicht mehr daheim wohnt, kann sie das nicht.« Sie saß vornübergebeugt da und hatte den Blick auf ihre Hände gerichtet.
»Ich rede mit ihr«, sagte ich.
»Das nutzt
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