Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
eigentlich nicht tun solle. Was hat sie damit gemeint?«
»Keine Ahnung.«
»Es muß was mit der Frau von der Sheriffdienststelle zu tun haben. Jedenfalls nehm ich das an.« Er biß ein Stück Stangenbrot ab und kaute darauf herum.
»Wirklich?«
»Temple redet die ganze Zeit über dich. Sie hat gesagt, sie hätte gute Lust, dir ein Kantholz über den Kopf zu ziehen.«
»Wie wär’s, wenn du mal das Mundwerk abstellst, mein Guter?«
»Kommst du dieses Wochenende zum Baseballspiel?«
»Was denkst du denn?«
Er mampfte sein Stangenbrot und grinste.
Wenn altgediente Cops und Gefängnisaufseher einmal aus sich herausgehen, erklären einem die meisten, daß es manch einen Kriminellen gibt, vor dem sie insgeheim Hochachtung haben. Charles Arthur Floyd zum Beispiel war dafür bekannt, daß er den Farmern in Oklahoma jeden Bissen Essen bezahlte, den sie ihm gaben, als er sich am Canadian River versteckt hielt. Clyde Barrow verbüßte seine Strafe auf einer Gefängnisfarm in Texas, kehrte dann zurück und holte seine Freunde raus. Männer, die ein Leben lang unehrlich gewesen sind, sitzen eher unter verschärften Haftbedingungen ein, als zu lügen oder einen anderen Sträfling zu verpfeifen. Mörder gehen klaglos, mit erhobenem Haupt und festem Blick in den Tod, ohne sich ihre Angst anmerken zu lassen. Der Begriff »standhaft« wird unter Strafgefangenen nicht leichtfertig benutzt.
Doch die oben genannten Beispiele sind die Ausnahmen. Der gewöhnliche Soziopath wird nur von einer Kraft getrieben, nämlich einem eigenen Ich. Er hat keinerlei moralische Grundsätze, und für ihn spielt es keine Rolle, ob er mit seiner Familie vor dem Fernseher sitzt oder sich die Zeugin eines Raubüberfalls vornimmt und ihr eine 22er Kugel in die Stirn jagt.
Am nächsten Abend bog Darl Vanzandt mit seinem 32er Ford in meine Auffahrt ein, sah, daß ich auf der Koppel war und Beau striegelte, fuhr neben die Scheune und stieg aus. Sein Gesicht zuckte, sei es wegen der Staubwolken, die der Wind aus den Feldern aufwirbelte, oder aufgrund der Chemikalien, die ihm das Hirn vernebelten.
Er kam zum Gatter, legte den Unterarm über die oberste Stange und musterte mich, während ihm das offene Hemd um die Brust schlackerte. Ich bemerkte zum erstenmal, wie gedrungen er war. Die Beine waren zu kurz geraten, die Schultern zu breit, die Hände rundlich und dick wie Keulen.
»Sagen Sie, was Sie wollen, und haun Sie ab«, sagte ich.
»Bunny Vogel hat seinen Job im Skeet-Club geschmissen. Meine Mutter hat ihm den Job besorgt. Gestern isser hingegangen und hat zum Geschäftsführer gesagt, daß er’s satt hat, den Müll einzusacken und die Klos zu putzen. Scheiß Superstar-Verhalten. Verpfeifen will er mich, darum geht’s.«
»Wen kümmert’s?«
»Wegen Bunny hat alles angefangen. Mit Roseanne, mein ich. Hören Sie überhaupt zu? Bunny tut so, als ob er ein Opfer war oder so. Glauben Sie mir, bloß weil er sich die Fresse zermatscht hat, heißt das noch lang nicht, daß er n Opfer is.«
»Interessiert mich nicht.«
Er gab einen unverständlichen Ton von sich und verzog ungläubig das Gesicht.
»Ich kann Ihnen Bunny liefern, Mann«, sagte er.
»Es interessiert mich nicht, weil Sie ein Lügner sind, Darl. Ihre Auskünfte sind nichts wert«, sagte ich.
Er beugte sich tiefer über das Gatter, so als könne er mir dadurch irgendwie näher kommen.
»Wollen Sie Garland Moon? Kann ich auch machen. Ich weiß Sachen über den Freak, da kriegen Sie das Kotzen«, sagte er.
»Ne.«
»Was is los mit Ihnen?«
Ich klemmte mir Beaus linken Vorderhuf zwischen die Beine und hebelte mit dem Taschenmesser einen Stein aus dem Hufeisen. Ich hörte, wie Darls Hemd im Wind flatterte.
»Sie und Marvin müssen irgendwas ausmauscheln«, sagte er. »Der Richter hat gesagt, ich komm beim geringsten Furz hinter Gitter. Ich bin noch minderjährig.«
Ich setzte Beaus Huf wieder auf den Boden, bückte mich unter seinen Hals und nahm mir den anderen Huf vor. Der Wind blies meinen Hut quer über die Koppel und in die Scheune.
»Mein alter Herr«, sagte Darl.
»Was?«
»Hinter dem sind Sie eigentlich her. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen den ebenfalls liefern.«
Ich richtete mich auf und schaute ihn an. Er starrte mich ausdruckslos an, ohne jede Scham, allenfalls erwartungsvoll. Ich klappte mein Taschenmesser zu, ging zu ihm hin und legte meine Hand über den glatten Balken. Seine flaumigen Wangen waren von der Sonne verbrannt; an seinem Mundwinkel klebte ein kleiner
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