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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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einer mysteriösen Frau, und aus den letzten, knappen Meldungen ging hervor, dass man sie bislang nicht gefunden hatte.
    Auch über Matthias Lasseks Vorleben gab es zahlreiche Artikel. Er hatte sich für Jugendprojekte eingesetzt und Kinderheime finanziell unterstützt.
    Jan überlegte, ob es in den anderen Ordnern, die sich im zweiten Regal reihten, noch irgendwo kindliche Zeichnungen gab, die Lassek darstellen sollten. Falls ja, fragte er sich, ob eine davon ebenfalls mit Mein geliebter Retter betitelt war.
    Aber wahrscheinlich hast du das Bild dann längst vernichtet , dachte er. Immerhin gibt es ja nur einen Erlöser, nicht wahr?
    »Sagen Sie …«, begann Stark, dann rieb er sich am
Kinn, als wüsste er nicht, wie er es ausdrücken sollte. Ihm war anzusehen, wie er all diese Dinge in einen Kontext bringen wollte und wie schwer er sich dabei tat. »Ich habe diesen Pfarrer ja nicht gekannt und ihn nur auf Heinz Krögers Beerdigung reden gehört, aber … Sie sagten doch, Sie hätten mit einer Frau telefoniert, oder?«
    »Sie meinen die Stimme?«
    Stark nickte. »Kann ein Mann seine Stimme derart verstellen? «
    Jan dachte an Janas Stimme. Sie hatte sich rauchig und doch irgendwie kleinmädchenhaft angehört. Und er erinnerte sich, dass sie ihm jedes Mal verstellt vorgekommen war. Felix Thanner hatte eine jungenhafte Stimme gehabt, die zu seiner schmächtigen Gestalt gepasst hatte. Mit ein wenig Übung – und die würde er im Lauf der Jahre gehabt haben – hätte er seine Tonlage sicherlich verstellen können, dass sie sich wie die rauchige Stimme einer jungen Frau anhörte. Immerhin taten das auch viele Travestiekünstler und klangen dabei sehr überzeugend. Aber die Frage der Stimmimitation schien Jan noch das kleinste Problem zu sein in dieser verwirrenden Angelegenheit.
    Er zuckte ratlos mit den Schultern. »Wie es aussieht, hat er uns alle getäuscht.«
    »Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht …«, Stark zog seine Zigaretten aus der Jacke. »Ich muss jetzt auf jeden Fall sofort raus hier.«
    Ohne Jans Antwort abzuwarten, verließ er den Raum, und Jan konnte auf dem Gang das reibende Geräusch eines Feuerzeugs hören.

75
    Stark brachte Jan nach Hause. Es war bereits spät, als sie in der Zufahrt hielten. Der Regen hatte aufgehört, und die Luft war von einer klaren, erfrischenden Kühle.
    Die ganze Fahrt über hatten sie kaum ein Wort gesprochen. Jeder hatte seinen Gedanken nachgehangen, hatte versucht, die verwirrende Fülle der Informationen zu verarbeiten. Stark fand als Erster die Sprache wieder, als er Jan nun zur Haustür begleitete.
    »Also gut, Dr. Forstner, Sie sind der Psychiater. Erklären Sie mir bitte, was wir da gesehen haben. Was war mit diesem Thanner los? War er so etwas wie ein psychopathischer Transvestit oder was?«
    Jan blieb stehen und strich sich mit der Hand übers Gesicht. Er war müde und erschöpft, aber seine Gedanken drehten sich unaufhörlich um Thanner und Tatjana.
    »Nein, kein Transvestit«, sagte er. »Ich denke eher, wir haben es tatsächlich mit einer multiplen Persönlichkeit zu tun gehabt. Die Maskerade aus dem Keller sollte nur dazu dienen, seiner zweiten Persönlichkeit eine reale Existenz zu verleihen.«
    Stark sah ihn verständnislos an. »Sagten Sie nicht, dass es so etwas nicht gibt?«
    »Ich sagte, dass dieses Thema aufgrund seiner Komplexität in Fachkreisen umstritten ist. Aber nach dem, was wir in dem Keller gesehen und von Gessing gehört haben, glaube ich, dass es sich bei Felix Thanner tatsächlich um einen solchen Fall gehandelt hat. Es ist natürlich nur eine Theorie, aber ich bin mir dennoch ziemlich sicher, dass ich damit richtig liege.«
    »Nur zu, ich bin ganz Ohr«, sagte Stark und kramte seine Zigaretten hervor. »Ihre Theorie interessiert mich sehr.«
    »Vermutlich ist das Ereignis im Schlachthaus der Auslöser für Thanners innere Spaltung gewesen«, begann Jan. »Eine Art Trauma. Wir wissen nichts über Thanners Vorgeschichte, woher er ursprünglich stammte und wer sein leiblicher Vater gewesen ist. Wahrscheinlich wuchs er nur bei seiner Mutter auf und vermisste eine väterliche Person in seinem Leben, bis er sie schließlich in Walter Harder fand. Auch wenn ihn uns Gessing als launisch und grobschlächtig beschrieben hat, muss Walter Harder für Felix eine große Bedeutung gehabt haben, vor allem, da er ihn wie seinen eigenen Sohn behandelt hat.
    Aber dann kam der große Bruch. Felix wurde zur Enttäuschung und drohte bei seinem neuen Vater in

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