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Dunkler Wahn

Dunkler Wahn

Titel: Dunkler Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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gewesen ist.« Er griff nach Jans Arm, und Jan konnte spüren, wie er zitterte. »Würdest du das für mich tun? Nur dieses eine Mal. Sie muss etwas gemerkt haben. Zumindest ahnt sie etwas.«
    Jan löste sich aus seinem Griff und stellte den nutzlosen Regenschirm ab. »Und du hast wirklich nichts mehr mit dieser anderen?«
    »Nein, bei allem, was mir heilig ist, ich schwöre dir, das ist vorbei. Und ich werde es auch nie wieder tun, so wahr ich hier stehe. Verstehst du, es war einerseits natürlich toll, aber mir ist sehr schnell klargeworden, was ich damit aufs Spiel setze. Mein Gott, es war ein Riesenfehler. Aber wenn ich Flavia die Wahrheit sagen würde, wäre alles vorbei. Du kennst sie doch. Sie würde mir das nie verzeihen.«
    Jan sah die Qual in den Augen seines Kollegen, aber er
musste auch an Flavia denken, die ihm noch vor nicht allzu langer Zeit bei einem gemeinsamen Abendessen versichert hatte, dass sie die glücklichste Ehefrau von allen sei. Er wünschte ihr, dass sie es bald wieder sein würde, auch wenn es ihm nicht leichtfallen würde, sie deshalb möglicherweise belügen zu müssen.
    Schließlich nickte er. »Auf welchem Kongress waren wir denn?«
    »Pharmakologie.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
    »Also gut«, seufzte Jan. »Aber mach so etwas nie wieder mit mir. Ich mag Flavia wirklich gern, und wenn die Wahrheit doch herauskommt, verlierst nicht nur du eine tolle Frau, sondern ich auch eine liebe Bekannte. Also bau keinen weiteren Mist, verstanden?«
    Eine zentnerschwere Last schien von Franco abzufallen. »Wenn ich das irgendwie wieder bei dir gutmachen kann, dann …«
    »Das kannst du«, unterbrach ihn Jan. Er zog das Kuvert aus seiner Jacke und öffnete es. »Ich wollte es dir ohnehin zeigen. Hier, ich habe noch eine Zeichnung bekommen. Sagst du mir, was du davon hältst?«
    »Zeig her.« Franco nahm das Blatt, und Jan konnte sehen, dass seine Hände noch immer zitterten.
    »Oh«, stieß er aus, »das sieht ja übel aus.«
    »Allerdings. Was meinst du dazu? Ich frage mich, ob es sich um echte Kühe handelt? Anfangs dachte ich das noch, aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Vielleicht steckt ja auch hier irgendeine Symbolik dahinter?«
    Mit schief gelegtem Kopf betrachtete Franco die Zeichnung. »Mal überlegen. Die Weide, die Sonne, die Bäume. Ein richtiges Idyll. Schon beinahe kitschig, findest du nicht?«

    »Das war das erste Bild auch.«
    »Aber vielleicht ist das auch ein Trugschluss«, sagte Franco, ohne den Blick vom Bild zu nehmen. »Wenn man diese Zeichnung rein symbolisch interpretieren wollte, könnte die Kuhherde für die gesellschaftliche Konformität stehen. Alle diese Kühe sehen gleich aus, sie stehen sogar in die gleiche Richtung, und um sie herum ist eine vermeintlich heile Welt. Die abgeschlagenen Köpfe könnten die fehlende Individualität der angepassten Masse darstellen. Alle machen mit, weil es alle anderen auch tun, und keiner ist zu eigenständigem Denken fähig.«
    »Interessante Theorie.«
    »Na ja, wenn sie zutrifft, bedeutet das, dass deine Künstlerin alle Menschen in ihrem Umfeld gleichsetzt«, fuhr Franco fort. »Sie wirft sie in einen Topf. Und die Art, wie sie es tut, deutet klar auf ihre Aggression hin. Immerhin malt sie nicht einfach nur gesichtslose Wesen, wie es die meisten in diesem Fall tun würden. Nein, sie schlägt ihnen die Köpfe ab. Was wiederum bedeuten könnte, dass sie sich stärker als die Masse fühlt und sich selbst über alle anderen stellt.«
    Er reichte Jan das Bild zurück, und Jan steckte es seufzend wieder in seine Jackentasche. »Diese Zeichnung habe ich bei mir zu Hause gefunden. Sie lag vor meiner Haustür. «
    » Mamma mia !«, stieß sein Kollege aus. »Das ist nicht gut. Nein, das ist gar nicht gut.«
    »Das kannst du laut sagen. Franco, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Diese Frau stellt mir nach, und ich habe nicht die geringste Idee, wer sie sein könnte. Ich glaube nicht, dass sie eine meiner Patientinnen ist, auch keine ehemalige. Heute Nachmittag habe ich sogar schon eine der Schwestern verdächtigt.«

    »Bettina?«
    »Ja.« Jan nickte verblüfft. »Woher weißt du?«
    »Kein Wunder, dass sie vorhin so entnervt reagiert hat, als ich gefragt habe, ob du noch drin bist. Wie, um alles in der Welt, bist du denn auf sie gekommen?«
    »Weil ich schon langsam anfange, paranoid zu werden. Ist nicht gerade angenehm für mich, dass diese Frau weiß, wo ich wohne.«
    »Hat sie niemand vor deiner

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