Dunkler Wahn
Haustür gesehen?«
»Nein, mein Nachbar ist gerade im Urlaub. Und Rudi ist der Einzige, der direkt auf meinen Hauseingang sehen kann.«
»Hast du schon mit der Polizei gesprochen?«
»Was soll ich denen denn sagen, Franco? Diese Bilder, der Rosenstrauß oder der Anruf sind kein Verbrechen. Du hattest doch schon mit Leuten zu tun, die gestalkt wurden. Dann weißt du auch, wie schwer es ist, dagegen vorzugehen. «
Nachdenklich betrachtete Franco die Pfütze, die sich auf dem unebenen Vorplatz der Station gebildet hatte.
»Tja, das ist wirklich eine verzwickte Situation«, sagte er schließlich. »Ich kann dir nur raten, die Augen offen zu halten. So wie ich das sehe, kannst du davon ausgehen, dass sie sich dir über kurz oder lang offenbaren wird. Ich meine, sie setzt Signale und versucht auf sich aufmerksam zu machen. Sie zeigt dir ihr Innerstes, aber jetzt will sie sich nicht mehr bei dir in der Klinik melden. Vielleicht ist ihr auch noch gar nicht klar, dass psychisch etwas bei ihr nicht stimmt. Das würde dann auch zu dem zweiten Bild passen. Sie ist überzeugt, dass sie sich von der Menge abhebt und du ebenfalls, denk nur an den Riesen. Sie hält euch beide für etwas Besonderes.«
»Am Telefon bat sie mich, ihr zu helfen«, sagte Jan.
»Aber wenn du Recht hast, würde es bedeuten, dass sie gar nicht nach Hilfe sucht?«
»Zumindest nicht nach der Hilfe des Psychiaters.«
»Aber was will sie dann?«
»Dieser Rosenstrauß … Hat sie irgendwie erwähnt, dass sie in dich verliebt ist?«
»Du meinst Erotomanie?«
»Wäre doch möglich, dass sie einen Liebeswahn hat, oder? Aber um ehrlich zu sein, wüsste ich nicht, wie ich dir helfen könnte.«
Jan atmete tief durch. »Du hast mir schon geholfen. Immerhin hast du meinen Verdacht bestätigt. Das ist schon mal ein Anfang.«
Franco stellte sich vor ihn hin und sah ihn mit besorgter Miene an. »Du passt auf jeden Fall auf dich auf, okay?«
»Versprochen.«
Franco tippte ihm auf die Brust. »Wenn sie tatsächlich bei dir zu Hause auftaucht, dann spiel nicht den heldenhaften Psychiater. Nicht bei einer, die andere am liebsten köpfen würde.«
Und wenn sie es schon getan hat? , wollte Jan fragen, doch im selben Augenblick öffnete sich hinter ihnen die Tür, und zwei Schwestern stellten sich zu ihnen. Zigarettenpause.
»Ich muss los«, sagte Franco. »Flavia wartet, und ich will kein weiteres Öl ins Feuer gießen. Danke für deine Hilfe, mein Freund. Und gib auf dich acht!«
Er eilte durch den Regen zu seinem Wagen und ließ Jan mit dem Bild in der Jackentasche zurück.
30
Zu Hause wurde Jan von einem blinkenden Anrufbeantworter erwartet. Die Anzeige meldete drei neue Nachrichten, doch nur einmal hatte jemand aufs Band gesprochen. Es war Carla, und als Jan ihre Stimme hörte, machte sein Herz einen Sprung. Sie entschuldigte sich, dass sie bei ihrem letzten Gespräch so kurz angebunden gewesen war.
»Es ist alles nicht so einfach«, sagte sie, »aber ich hoffe sehr, wir werden es hinbekommen. Glaubst du, wir schaffen das? Ich muss jetzt wieder los, aber ich werde nicht mehr lange unterwegs sein. Die Tour ist fast zu Ende.« Und dann endete sie mit einem Satz, auf den Jan sehnsüchtig gewartet hatte. »Ich vermisse dich.«
Jan hörte die Nachricht noch einige Male ab, und mit jedem weiteren »Ich vermisse dich« wurde ihm leichter ums Herz. Danach stellte er sich unter die Dusche, stützte die Hände auf die Fliesenwand und ließ den heißen Wasserstrahl auf sich niederregnen. Er versuchte an nichts zu denken und den Kopf von allem freizubekommen, doch es gelang ihm nicht.
Seine Gedanken kehrten zu der Unbekannten und dem Bild mit den enthaupteten Kühen zurück. Wer war sie, und was wollte sie von ihm? Wie konnte er sie ausfindig machen, um endlich zur Ruhe zu kommen?
Du kannst davon ausgehen, dass sie sich dir über kurz oder lang offenbaren wird.
Francos Worte klangen in seinem Kopf nach. Sie bedeuteten, dass Jan es nicht selbst in der Hand hatte. Die Unbekannte wäre es, die auf ihn zukäme, nicht umgekehrt. Aber gerade das war eine Tatsache, mit der er sich nicht abfinden konnte. Es musste doch einen Hinweis in ihren
Botschaften geben. Irgendetwas, das ihm verriet, wer sie war.
Er stellte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und nahm ein Handtuch vom Wandhalter.
Irgendeinen Anhaltspunkt , dachte er, während er sich abtrocknete. Aber welchen?
Draußen fuhr ein Wagen vorbei. Der Lichtkegel fiel durchs Badezimmerfenster. Jan blieb vor Schreck
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