Dunkler Zwilling
Auch für euch?«
Andreas nickte. »Wir werden dir alles erzählen, was du wissen willst. Es wird dir nicht gefallen, deshalb hatten wir dir nicht alles erzählt.«
Sonja schaltete sich ein. »Eigentlich wollten wir warten, bis du achtzehn bist und schon viel mehr auf eigenen Füßen stehst. Aber als du plötzlich anfingst zu drängeln, dass du unbedingt deine Geburtsurkunde sehen wolltest, da merkten wir, dass man dir nicht länger verschweigen konnte, dass du unser Adoptivsohn bist. Aber glaube mir, Max, du bist für uns wie unser eigenes Kind! Du bist unser Sohn, ich hab dich lieb wie –«
»Schon gut!«, unterbrach Max und bemühte sich, seiner Stimme einen besonders harten Ton zu verleihen.
Sonja zuckte zusammen. Tränen standen in ihren Augen. Max wandte den Blick von ihr ab und sah durch die Terrassentür hinaus in den verwilderten Garten, der mit seinen vertrockneten Stängeln und den kahlen Ästen an den Bäumen traurig und verloren wirkte. Hinten am Zaun tropfte der Regen vom rissigen Holzdach einer kleinen schiefen Hütte. Max schluckte. In ihm stiegen die Bilder einer sonnigen Zeit auf, als er dort draußen mit Hammer und Nägeln gewerkelt hatte. Später hatte Andreas ihm geholfen, dem Bauwerk Stabilität zu verleihen. Max konnte sich noch gut an seine Sprüche von damals erinnern. »Die Axt im Haus erspart den Zimmermann! – Es ist gut, wenn du beizeiten lernst, mit Werkzeug umzugehen. – Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen. Das sind die drei Dinge, die ein Mann in seinem Leben tun sollte.«
Wieder stieg die Wut vom Neujahrstag in Max auf. Sie hatten ihn betrogen! Sie hatten ihm alles genommen! Er war plötzlich ein Wesen ohne Vergangenheit. Max verzog den Mund, als habe er auf etwas Bitteres gebissen. Dann spuckte er die Worte in Andreas’ Richtung: »Haus bauen und Baum pflanzen kannst du wenigstens.«
Andreas wurde weiß im Gesicht und Max tat im selben Moment leid, was er gesagt hatte, doch er nahm es nicht zurück.
»Also, was willst du wissen?«, fragte Andreas sehr leise und sah ebenfalls hinaus in den Garten. Sonja schnäuzte in ein Taschentuch.
Max bemühte sich um eine feste Stimme: »Warum ihr mir die Geburtsurkunde nicht zeigen wollt. Und mir Geschichten erzählt, sie wäre in einer Umzugskiste verräumt worden. Für wie blöd haltet ihr mich? Sonja ist ein Dokumentenfreak, die weiß von jedem Zettel, wo er ist!«
Sonja räusperte sich. »Wir wollten dir das erst einmal mit der Adoption erklären und dann über diese Urkunde sprechen. Aber du bist ja gleich aufgestanden und rausgerannt. Wolltest nichts mehr hören! Ich verstehe ja, dass du –«
»Das ist nicht die Antwort auf meine Frage«, fuhr Max dazwischen. »Wo ist sie, und warum wollt ihr sie mir nicht zeigen?«
Andreas’ Blicke hefteten sich auf Max. »Weil da ein Name drin steht, mit dem du nichts anfangen kannst.«
Max horchte auf. »Ein Name? Was für ein Name?« In seinem Inneren meinte er es flüstern zu hören: Siehst du, Bruder! Also doch! Von Bentheim steht in deiner Geburtsurkunde!
Andreas erhob sich und verließ das Zimmer. Alle sahen ihm schweigend nach. Max kannte jedes Geräusch in diesem alten Haus. Er hörte, dass Andreas hinauf ins Schlafzimmer der Eltern ging, die Schublade der Kommode aufzog und wieder zurückkam. Er klappte eine Mappe auf, die er mitgebracht hatte, und legte vor Max ein Blatt Papier auf den Tisch. Das Geburtsdatum kannte er: 1. März 1997. Den Geburtsort auch. Ebenso den Vornamen Maximillian. Als Nachname stand dort etwas anderes.
»Busch?« schrie Max. »Was ist denn das für ein Name? Wer ist das?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass du damit nichts anfangen kannst«, erklärte Andreas kühl.
Max schaute hilfesuchend zu Sonja. »Sind das meine Eltern? Heißen die so?«
Sonja schüttelte den Kopf. Sie tupfte sich die Tränen aus den Augen. »Dieser Name wurde dir gegeben.«
»Von wem?«, rief Max.
»Von einem Amtsvormund. Kinder, die keinen Namen haben, erhalten einen Namen, damit man sie standesamtlich melden und eine Geburtsurkunde ausstellen kann.«
Max schüttelte den Kopf, als wollte er wirre Gedanken loswerden. »Das heißt also, meine echten Eltern haben mir keinen Namen gegeben, sondern haben das jemand anderem überlassen. Weiß man aber trotzdem, wer meine Eltern sind?«
»Das ist in deinem Fall nicht so«, erklärte Andreas.
»Was soll das heißen, du redest schon wieder so um fünf Ecken herum! Wer sind meine echten Eltern? Raus damit!«
Die
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