Dunkler Zwilling
gebrochen und das Schlüsselbein, kleinere Verbrennungen und eine leichte Rauchvergiftung. Ein paar Tage Krankenhaus, dann kann er wieder nach Hause.« Die letzten beiden Worte brachte sie nur noch schluchzend hervor. »Wir haben kein Zuhause mehr. Wir haben alles verloren. Wir haben nur noch die Fetzen, die wir auf dem Leib trugen.«
Renate Herold griff nach Sonjas Hand. »Ich habe dir doch gesagt, dass ihr hier bei uns bleiben könnt. Es ist wirklich kein Problem!«
Sonja nickte. Dann sah sie sich suchend um. »Wo ist eigentlich Kurt? Er war doch eben noch hier?«
Renate Herold lächelte. »Du glaubst doch nicht, dass es meinen Mann hier im Haus hält, während seine ehemaligen Kollegen ganz in der Nähe ermitteln. Er ist natürlich am Brandort und hilft bei der Suche nach der Ursache. Die zu finden ist wichtig, damit eure Versicherung so schnell wie möglich aktiv werden kann.«
Sonja Wirsing atmete bebend aus. »Versicherung! Ich fürchte, wir sind hoffnungslos unterversichert.«
Plötzlich sprang Schorsch auf und lief in den Flur. Er hatte den Schlüssel in der Eingangstür gehört und benahm sich schon ganz so, als sei er in diesem Haus der wachhabende Hund.
Von Schorsch umtänzelt, betrat Kurt Herold die Küche. Er brachte feuchte Winterluft, aber auch einen brandigen Geruch in den Kleidern mit. Unter der dicken Fellmütze quoll weißes, lockiges Haar hervor. Seine blauen Augen strahlten offenherzig in die Runde. Die vor Kälte geröteten Wangen unterstrichen noch, dass Max sich an einen freundlichen Nikolaus erinnert fühlte. Kurt Herold streifte dicke Handschuhe ab und sagte: »Na, geht es euch schon wieder etwas besser? Jedenfalls seht ihr so aus. Das beruhigt mich.« Er wartete keine Bestätigung ab, sondern verschwand im Flur, um Kleider und Schuhe abzulegen. Nachdem er sich aus der Thermoskanne mit Kaffee bedient hatte, ließ er sich berichten, was Sonja aus dem Krankenhaus erfahren hatte. Sonja Wirsing wirkte zunehmend matter und blasser. Schließlich stand sie auf, um sich noch etwas hinzulegen. Alle sahen ihr besorgt nach.
»Das ist typisch für einen Schock«, sagte Kurt Herold. »Sie ist längst noch nicht wieder bei sich. Ich kenne das gut aus meinem Berufsleben. Die stillen Opfer, die nur am Rande etwas abgekriegt haben, sind oft am meisten gefährdet. Du musst gut auf sie aufpassen, Max, jetzt, wo Andreas nicht kann!«
Max nickte und verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln.
»Wie geht es dir überhaupt, Junge?«, fragte Herold.
In Max’ Hosentasche meldete das Handy den Eingang einer SMS. Max entschuldigte sich, zog das Gerät schnell hervor und las. Es war bereits die dritte SMS, die Chiara ihm im Laufe des Vormittags geschickt hatte.
Ich lasse heute Nachmittag Sport sausen und komm dann zu dir. Hdgdl
Max schrieb schnell eine kurze Antwort und steckte das Gerät wieder ein. »Meine Freundin«, erklärte er.
Renate und Kurt Herold nickten mit vielsagenden Blicken.
»Haben Ihre Kollegen schon etwas herausgefunden?«, erkundigte sich Max.
»Du kannst du sagen und Kurt. Wir sind schon so lange mit deiner Oma befreundet, da bist du fast so was wie ein Adoptivenkel für uns!«
Bei dem Wort »Adoptivenkel« zuckte Max ein wenig zusammen.
Kurt Herolds Miene verdüsterte sich. »Brandstiftung. Es gibt Hinweise auf Brandstiftung.«
Max horchte auf. »Von der Küche aus. Nicht wahr?«
Kurt Herold nickte. »An der Terrassentür zur Küche konnte man trotz der Zerstörung Einbruchsspuren erkennen. Jemand ist von dort aus eingedrungen und hat dann vermutlich einen Brandbeschleuniger ausgekippt. Genauer können sie das sagen, sobald die Trümmer abgekühlt sind, was bei diesem Wetter schnell gehen dürfte.« Kurt Herold sah aus dem Fenster. Draußen schneite es in dicken Flocken. »Dann lassen sie den Brandspürhund drüberlaufen«, fuhr er fort. »Der zeigt ihnen genau an, wo Brandbeschleuniger ausgebracht wurde. Selbst wenn das meiste bereits verbrannt ist, Hunde haben einfach eine verdammt feine Nase.« Kurt Herold streichelte Schorsch, der unter dem Tisch lag, über den Kopf. Schorsch biederte sich schwanzwedelnd an, als habe das Lob ihm gegolten. Max beobachtete das abwesend. Er versuchte sich zu erinnern und schilderte Kurt Herold dann, wie er den Beginn des Feuers erlebt hatte.
»Da haben wir es!«, rief Kurt Herold aus. »Das Feuer hat sich, wie an der Schnur gezogen, entlang des Brandbeschleunigers ausgebreitet. Normalerweise würde es sich langsamer und über die gesamte
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