Dunkler Zwilling
ahnte, dass es in ihrem Haus nicht sicher ist und hat es bei ihr deponiert.«
»Dann wäre es jetzt auf jeden Fall verbrannt.«
»Nicht unbedingt. Vielleicht hat deine Oma einen Safe im Keller?«
»Hat sie nicht.«
»Einen Banksafe?«
»Auch nicht.«
»Wo tut sie denn Sachen hin, die ihr wichtig sind?«
Max zuckte mit den Schultern und sah sich im Zimmer um, als könnte aus einer Ecke eine Idee auf ihn zufliegen. Plötzlich blieb sein Blick an dem Dosenstapel hängen.
»Keksdosen!«, rief er. »Sie sammelt alles in Keksdosen.«
»Dann lass uns gehen und in den Trümmern suchen. Vielleicht finden wir ja noch Dosen und vielleicht ist der Inhalt noch in Ordnung.«
»Jetzt nicht mehr«, entschied Max. »Es ist schon viel zu dunkel. Morgen Mittag, gleich nach der Schule!«
Max und Chiara standen auf der anderen Straßenseite und sahen hinüber zur Brandstelle. Max spürte einen dicken Kloß im Hals, als er das Ausmaß der Katastrophe betrachtete. So hatte er sich das nicht vorgestellt. In seiner Erinnerung war das Haus genauso geblieben, wie er es vor dem Brand gekannt hatte. Um so tiefer traf ihn jetzt der Schock. Chiara spürte seine Verfassung und griff zaghaft nach seiner Hand.
»Sogar das Dach ist eingestürzt«, sagte Max und schaute auf die schwarzen Balken, die sich in den grauen Himmel reckten. Dazwischen hingen einzelne Sparren mit verrußten Ziegeln. Fetzen von Isoliermaterial baumelten wie Galgenvögel im Wind. Es gab kein Glas mehr in den Fenstern, nur finstere Höhlen, um die das Feuer in Form von schwarzen Schlieren seine Spur hinterlassen hatte. Aus dem Wohnzimmerfenster im Parterre hing ein fleckiger Vorhang und bauschte sich gespenstisch nach draußen auf. Es war wie ein letztes Winken, eine letzte Regung aus dem Szenario eines Untergangs.
»Gut, dass Oma das jetzt nicht sehen muss«, flüsterte er.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm aussieht. Ein Wunder, dass ihr da rausgekommen seid!«, sagte Chiara.
Max schaute hinauf zu dem Fenster, hinter dem einmal sein Zimmer gewesen war. Das Dach darüber war eingestürzt und die Trümmer hatten all seine Sachen unter sich begraben. Wie viele Sekunden, nachdem sie sich retten konnten, war das geschehen?
»Es war knapp, richtig knapp«, sagte er mit bebender Stimme.
»Dass du überhaupt die Nerven behalten hast. Deine Mutter hat mir erzählt, dass ihr es ohne dich nicht gepackt hättet.«
»Sie übertreibt. In dem Moment denkst du nicht an die Gefahr. Da funktionierst du wie eine Maschine. Nur so tack, tack, tack.«
»Manche rennen einfach nur noch davon. Du bist geblieben.«
»Mach mich nicht zum Helden. Es lag an Papa. Wenn er nicht so ruhig und klar geblieben wäre, wäre ich vielleicht auch durchgedreht. Ich hab in dem Moment mehr von ihm gelernt als in meinem ganzen Leben. Und er ist oben geblieben bis zum Schluss. Mich hat er zuerst rausgeschickt. Mich wollte er retten. Wenn du also einen Helden suchst, dann ihn.«
Chiara drückte Max’ Hand. Die Brandstelle war mit einem rot-weiß-gestreiften Band abgesperrt. Zwei Männer in gelb und dunkelblau gemusterten Anzügen und mit Helmen geschützt bahnten sich im Parterre einen Weg durch die Trümmer. Sie schleppten Gegenstände heran, die schwarz verkohlt und kaum zu erkennen waren, und luden sie in einen Stahlcontainer, der seitlich im Vorgarten stand und den Max in dem Durcheinander noch gar nicht bemerkt hatte. Einer der Männer bückte sich und klaubte etwas vom Boden zusammen, das er ebenfalls in den Container warf. Plötzlich schaute dort ein Tigerkopf über den Rand.
Sofort setzte Max sich in Bewegung. »Mein Tiger!«, rief er.
Der Mann blieb stehen und schaute erstaunt zu den beiden Jugendlichen.
»Ich habe hier gewohnt. Das ist mein Tiger. Ich brauche ihn zurück!«, rief Max.
Die behandschuhte Hand griff nach dem Stofftier und zog es aus dem Müll hervor. »Dein Kuscheltier ist aber nicht mehr ganz frisch«, erklärte er.
Inzwischen war auch der andere Mann wieder aufgetaucht. Er hatte sich den Helm abgezogen und beobachtete mit leichtem Grinsen die Szene. »Eigentlich siehst du aus, als wärst du aus dem Kuscheltieralter heraus und würdest längst mit was anderem schmusen.« Sein Blick glitt in unverschämter Offenheit zu Chiara.
Sie ignorierte die Bemerkung und schaute ihm direkt in die Augen. »Wir wollten nachsehen, ob wir noch ein paar Sachen finden, die wir vermissen«, sagte sie. »Dürfen wir mal da rein? Ich meine, in Ihrer fachkundigen
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