Dunkler Zwilling
in die Schule. Nicht etwa, weil er sich wieder fit fühlte, sondern weil das tatenlose Rumsitzen im Haus der Herolds und Sonjas depressive Stimmung ihm zusetzten.
Die Mitschüler und Lehrer hielten sich mit Fragen und Bemerkungen weitestgehend zurück. Glaubten sie ihn dadurch zu schonen, wenn sie so taten, als sei nichts geschehen? Die einzige Ausnahme war ihr Klassenlehrer, Herr Weigmann. In seiner gewohnten Art polterte er zur Begrüßung: »Da habt ihr mächtig Glück gehabt! Aber so ist das mit diesen alten Gemäuern. Modernen Brandschutz gab es damals nicht, und wenn man dann nicht nachrüstet, ist schnell was passiert. Wirklich Glück habt ihr gehabt. Und in die nächste Behausung müssen Rauchmelder rein! Merkt euch das!«
Max hatte keine Lust zu widersprechen. Sollte er dem alten Besserwisser erklären, dass bei der Geschwindigkeit, mit der sich das Feuer ausgebreitet hatte, auch ein Rauchmelder nichts genützt hätte? Die Rettung war eindeutig Schorsch gewesen, der nicht nur als Brandmelder, sondern bereits vor dem Feuer als Einbruchsmelder fungiert hatte.
Jonas ging Max aus dem Weg. Als sie schließlich beim Verlassen der Schule in der Tür aufeinander trafen, sagte Jonas: »Du kriegst ja bestimmt von allen Seiten Klamotten, da kannst du mir meine so schnell wie möglich wiedergeben.«
Am Nachmittag erfuhr Max während der Autofahrt in die Klinik von Kurt Herold, dass in der Tat Brandbeschleuniger gefunden worden war. »Die Kollegen ermitteln jetzt wegen Brandstiftung und versuchten Mordes, denn der Täter hat eindeutig davon ausgehen können, dass sich Personen im Haus befanden. Die Art, wie er den Brand gelegt und die Fluchtwege versperrt hat, zeigt ganz klar, dass er in Tötungsabsicht gehandelt hat!«
Sonja konnte es nicht glauben. Es gab niemanden, den sie sich als Täter vorstellen konnte. Renate Herold, die auch mit im Auto saß, wirkte sehr nachdenklich. Plötzlich sagte sie: »Es erinnert mich sehr an den Brand bei Brigitte. Kurt, du weißt doch, letztes Jahr!«
»Vorletztes Jahr«, korrigierte er. »Aber da hat man keinen Brandbeschleuniger gefunden.«
»Was nicht heißt, dass es nicht einen Schuldigen gibt! Vielleicht brauchte der Täter in Brigittes Haus nur altes Papier zu nehmen. Küche und Flur hingen doch voll mit getrockneten Kräutern. Da braucht man keinen Beschleuniger. Das brennt lichterloh, wenn du nur ein Streichholz dranhältst!«
»Du meinst also, es gibt einen Zusammenhang?«, fragte Kurt Herold.
»Du bist doch der Polizist, der überall Lunte riecht«, sagte sie neckend.
»Man muss immer vom Motiv ausgehen«, erklärte er. »Die Frage ist, wer hat Interesse, bei alten, freundlichen Frauen Feuer zu legen und ihren Tod in Kauf zu nehmen?«
»Jemand, der scharf auf ihr Grundstück ist? Spekulanten?«, gab Renate Herold zu Bedenken.
Max hörte dem Gespräch nicht weiter zu. Plötzlich glaubte er einen ganz anderen Zusammenhang zu erahnen. Er wurde unruhig. Wenn es nur schon Abend wäre und er Chiara von seinem Verdacht erzählen könnte.
»Und du denkst, diese Brigitte Wiesner hat deiner Oma etwas erzählt, das für jemanden gefährlich sein könnte?«, fragte Chiara, nachdem sie eine Weile über Max’ Theorie nachgedacht hatte. Sie saßen nebeneinander auf dem Bett in Max neuer Bleibe. Max nickte. »Sie war als Hebamme bei Maurice’ Geburt dabei gewesen. Wer, wenn nicht sie, wusste, was da wirklich abgelaufen ist?«
»Und du glaubst, dass deine Oma dir und deinen Eltern das all die Jahre verschwiegen hat? Traust du ihr das zu?«
»Um des lieben Friedens willen kann meine Oma schweigen wie ein Grab.«
Chiara schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber hier geht es doch um etwas ganz Ungeheuerliches. Etwas, wofür jemand bereit ist, zu töten. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass deine Oma so etwas für sich behalten hätte. So, wie du sie schilderst, ist sie eine grundehrliche Haut!«
»Wer weiß«, flüsterte Max. »Eigentlich müsste man sofort zu ihr in die Klinik und sie fragen.«
»Und warum tun wir das nicht?« Chiara erhob sich bereits.
Max zog sie zurück. »Keine weiteren übereilten Aktionen. Sie soll erst wieder gesund werden. Lass uns lieber noch einmal selbst überlegen!«
Chiara ließ sich wieder neben ihm nieder. »Und wenn es etwas ist, wovon deine Oma eigentlich gar nichts weiß? Etwas, das sie in ihrem Besitz hat, ohne es zu ahnen?«
»Wie meinst du das?«
»Vielleicht hat diese Brigitte Wiesner deiner Oma etwas zur Aufbewahrung gegeben. Sie
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