Dunkles Begehren
unverbindlich. Gabriel hatte
ihm einen Befehl erteilt, und der Reporter befolgte ihn aufs Wort. Er würde
Francesca verlassen und seinen Freunden Bericht erstatten. Sie würden ihm
glauben. Francesca war eine Frau mit außerordentlichen Talenten, doch sie ging
im Sonnenlicht spazieren und trank Tee. Woods war sich ganz sicher, mit ihr
Tee getrunken zu haben.
Francesca lächelte
sanft. »Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Mr. Woods. Ich wünsche Ihnen
viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.«
Sie drehte sich um
und ging mit lautlosen Schritten den Flur entlang. Sie suchte nach Brice. Wenn
er bis spät in die Nacht arbeitete, übernachtete er oft in einem der leer
stehenden Zimmer. Wenn er nicht gerade an einem gesellschaftlichen Ereignis
teilnahm, verbrachte Brice die meiste Zeit im Krankenhaus. Schließlich nahm
Francesca seinen Geruch wahr und ging auf das kleine Zimmer am Ende des Ganges
zu. Es war Brice' Lieblingsplatz.
Lautlos glitt
Gabriel über den Friedhof. An diesem Ort hatte er so viele Jahre in der Erde
verbracht. Jetzt war das Erdreich aufgeworfen, da man die Gräber ausgehoben und
die Särge entfernt hatte, um Platz für den Fortschritt zu schaffen. Er
schüttelte den Kopf angesichts dieser Art des Fortschritts. Vor zweihundert
Jahren wäre es niemandem eingefallen, einen Friedhof auf diese Art und Weise zu
entweihen. Es wäre ein Sakrileg gewesen. Das Böse ging in Paris um und lauerte
auf diesem alten Friedhof, auf dem so viele Menschen die letzte Ruhe gefunden
hatten.
Während er zwischen
den Gräbern entlangglitt, dachte er an die Schlacht vor zweihundert Jahren
zurück. Als er Lucian gefunden hatte, hatte sich dieser gerade über sein
jüngstes Opfer gebeugt, einen Mann, der etwa dreißig Jahre alt gewesen war. Das
Opfer war völlig ausgeblutet, eine leblose Puppe, die Lucian achtlos beiseite warf,
als er sich Gabriel zuwandte. Wie immer staunte Gabriel über die eleganten,
geschmeidigen Bewegungen seines Binders. Es gab niemals auch nur den Hauch
eines Blutflecks auf seiner Kleidung, seinen Zähnen oder seinen Fingernägeln.
Lucian war immer makellos. Er schien sich überhaupt nicht verändert zu haben,
doch er war nun ein schreckliches Ungeheuer, nicht mehr der legendäre Vampirjäger,
um den sich karpatianische Mythen rankten.
Allein die
Erinnerung an seinen Bruder, groß, elegant und von altmodischem Charme,
erfüllte Gabriel mit Liebe. Lange Zeit hatte er sie nicht gespürt, sondern sich
nur an das Gefühl erinnert, doch jetzt schien es stärker und intensiver zu sein
denn je. Gabriel senkte den Kopf. Lucian. Sein
Bruder. Der Kummer überwältigte ihn, bis er schließlich entschlossen den Kopf
schüttelte, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn er sich seiner
Trauer hingab, würde er verlieren. Er musste sich allein auf die Jagd
konzentrieren. Im Kampf gegen das Böse brauchte er jeden Vorteil, den er sich
verschaffen konnte, denn die Untoten waren in der Überzahl.
Eines der Gräber
fiel Gabriel besonders ins Auge. Er trat näher, um es zu untersuchen. Es schien
frisch ausgehoben worden zu sein, und die Baumaschinen waren noch nicht in
diese Nische an der Steinmauer vorgedrungen. Als Gabriel die Erde berührte,
spürte er sofort die Ausstrahlung zerstörerischer Kräfte. Er zog die Hand
zurück. Die Erde selbst schien unter der Berührung des Bösen aufzustöhnen. Er
blieb gebückt stehen und ließ den Blick über den Boden schweifen, während er
gleichzeitig mit allen geschärften Sinnen die Umgebung absuchte.
Gabriel seufzte. Er
hörte die leisen Schritte von Stiefeln auf der lockeren Erde, den keuchenden
Atem eines Ghouls, den ein Vampir erschaffen hatte. Ghouls waren gefährliche
Kreaturen, die nur existierten, um ihren Herren zu dienen. Sie ernährten sich
von verdorbenem Blut und dem Fleisch der Sterblichen. Sie waren brutal und
kannten keine Gnade. Gabriel wartete, während er alle seine Kräfte sammelte,
bis sie durch ihn hindurchzufließen und die Luft um ihn herum zu erfüllen
schienen.
Der Ghoul schlich
sich von hinten an ihn heran. Er war ein Ungeheuer, ungeschickt, doch sehr
verschlagen und stark. Ein Sterblicher hätte sich in großer Gefahr befunden,
wenn er diesem Vampirdiener begegnet wäre. Doch Gabriel war viel zu mächtig
und erfahren, um einen Gedanken an den Ghoul zu verschwenden. Als die groteske
Kreatur näher kam, fuhr Gabriel herum, packte den missgestalteten Kopf und
brach ihm mit einem Ruck das Genick. Das Ungeheuer heulte auf und ruderte
hilflos mit
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