Dunkles Begehren
Brice gehorchte ihm
wie ein verlorener kleiner Junge.
Ein Wutschrei gellte
durch die Nacht. Vampire sahen es nicht gern, wenn man ihren Opfern half. Der
Untote würde Brice nicht so einfach aufgeben. Lächelnd wandte Gabriel sein
Gesicht zum Himmel. Dunkle Wolken türmten sich über ihm auf, und dünne Blitze
zuckten über den Himmel. Gabriel schüttelte leicht den Kopf. Die elektrische
Spannung der Blitze baute sich auf, bis er schließlich die Hand hob und sie in
einem kleinen Halbkreis bewegte.
Ein Beobachter hätte
die winzige Geste kaum bemerkt, doch die Blitze in den Wolken gehorchten ihm
sofort und schlugen in die Erde ein, außer Sichtweite hinter einem kleinen
Hügel. Ohrenbetäubender Donner ertönte, während die Blitze die Erde verbrannten
und Grabsteine zerschmetterten. Ein heftiger Wind kam auf und trug einen
hasserfüllten Schrei nach Rache zu Gabriel heran. Die Bäume bogen sich unter
den Sturmböen, dann brachen Äste und Zweige ab und flogen auf ihn zu.
Gabriel stand hoch
aufgerichtet und ungerührt da, während die Äste und Zweige um ihn herum vom
Himmel regneten. Brice saß zu seinen Füßen, ohne die Gefahr überhaupt zu bemerken.
Plötzlich änderte der Wind die Richtung. Blätter, Erdbrocken und Äste wurden
über den kleinen Hügel getragen und regneten dort vom Himmel. Verborgen hinter
einem besonders dicken Ast, warf sich Gabriel in die Luft. Er erreichte den
Vampir, bevor das Ungeheuer überhaupt erkannte, dass es in Lebensgefahr
schwebte.
Gabriel schoss
pfeilschnell aus dem Himmel geradewegs auf die ausgemergelte Gestalt zu, die
auf dem verdorrten Gras stand. Der Vampir war von zerbrochenen Grabsteinen umgeben,
die durch den Wind, die umherfliegenden Äste und die Blitze zerschmettert
worden waren. Der Untote stand wie erstarrt da und versuchte, sich vor dem
Sturm zu schützen, während er seinen nächsten Schachzug plante.
Gabriel schoss auf
den Vampir zu, während dieser gleichzeitig von einem Ast getroffen wurde. Die
Kreatur wurde zurückgeschleudert, als sich Gabriels Faust tief in ihre Brust
senkte und ihr das Herz aus dem Leib riss. Der verzweifelte Aufschrei des
Vampirs hallte über den Friedhof, sodass die Fledermäuse erschrocken aufstoben.
Dann sank der Untote in sich zusammen, wand sich auf dem Boden und versuchte,
auf Gabriel zuzukriechen, um sein verdorbenes Herz zu erreichen, das jedoch
nicht in seiner Reichweite war. Ohne darüber nachzudenken, sammelte Gabriel
die Elektrizität der Blitze und zielte auf das Herz des Vampirs. Der dünne,
glühende Strahl verbrannte das Herz und den Körper des Vampirs zu Asche. Gabriel
streckte seine Hände aus, um sich vom verdorbenen Blut des Vampirs zu reinigen,
ehe er den Boden auf Spuren des Ungeheuers überprüfte.
Offenbar hatte der
Vampir seine Seele erst vor wenigen Jahren verloren, denn er war unerfahren
und langsam gewesen. Es handelte sich nicht um den Vampir, der Brice in seinen
Bann geschlagen hatte. Die Finsternis in der Seele des Arztes saß tief,
vergiftete sein Blut, fraß seinen Verstand auf und ließ ihn von innen heraus
verfaulen. Er war kein Ghoul, der sich vom Fleisch der Sterblichen ernährte und
nur dafür lebte, das Blut des Vampirs zu empfangen, doch der Untote, der ihn
kontrollierte, verfügte über große Macht.
Gabriel glaubte nach
wie vor nicht, dass Lucian seine Hand im Spiel hatte. Sein Bruder hätte so
etwas als unter seiner Würde empfunden. Vielleicht hätte er Brice etwas angetan
oder ihn getötet, doch er würde diesen Mann nicht benutzen, um Skyler und
Francesca eine Falle zu stellen. Das hatte er nicht nötig. Lucian suchte bei
allem, was er tat, nach intellektuellen Herausforderungen, die ihn davon
abhielten, ganz den Verstand zu verlieren.
Verärgert schüttelte
Gabriel den Kopf. Lucian hatte den Verstand verloren. Bereits vor vielen
Jahrhunderten hatte er beschlossen, seine Seele zu verlieren. Wenn er,
Gabriel, seine Familie beschützen wollte, durfte er nicht länger glauben,
Lucian sei noch ein Teil von ihm.
Francesca war jetzt
sein Herz und seine Seele. Er durfte es nicht riskieren, dass Lucian ihr ein
Leid zufügte.
Gabriel ging zu Brice
zurück. Er musste den Mann nach Hause bringen und ihn mit einem starken
Schutzzauber belegen, damit der Vampir ihm nichts mehr anhaben konnte. Doch
Brice war bereits so vergiftet, dass Gabriel bezweifelte, ihm noch helfen zu
können. Offenbar hatte der Vampir lange Zeit an Brice gearbeitet.
Der Doktor hatte sich
auf dem Boden zusammengekauert. Er
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