Dunkles Begehren
die Sonne genommen. So war Gabriel. Er traf
Entscheidungen und erwartete, dass sich der Rest der Welt danach richtete. Er
machte seine eigenen Gesetze und würde von Francesca erwarten, ihnen zu
gehorchen.
Sie blieb stehen,
holte tief Atem und ging dann über den Parkplatz des Krankenhauses. Sie
bemühte sich, ganz normal und unbekümmert zu wirken. Als sie das Gebäude
betrat, traf sie beinahe augenblicklich auf Brice. Offensichtlich hatte er die
Anweisung gegeben, ihn sofort zu benachrichtigen, wenn sie eintraf. Er führte
sie durch die Krankenhausflure zu einem Privatzimmer. Überall waren Teddybären,
Ballons und Blumen verteilt. Das kleine Mädchen, das im Bett lag, war sehr
blass und hatte tiefe Schatten unter den Augen. Wie immer klärte Brice
Francesca nicht darüber auf, was dem Mädchen fehlte, sondern wartete darauf,
dass sie ihre eigene >seltsame< Untersuchung durchführte.
»Wissen ihre Eltern,
dass du mich gebeten hast, mir die Kleine anzusehen?«, fragte Francesca leise.
Trotz ihres
Flüstertons regte sich das Mädchen und öffnete die Augen. Es lächelte seine
Besucherin an. »Du bist die Lady, von der Doktor Renaldo sagt, dass sie Leuten
hilft. Mom meinte, dass du mich besuchen würdest.«
Francesca warf Brice
einen verärgerten Blick zu. Sie hatte ihn schon hundert Mal gebeten, ihre
Besuche nicht zu erwähnen. Sie konnte es sich nicht leisten, Aufmerksamkeit zu
erregen. Mehr als ein Mal hatten sie sich über diesen Punkt gestritten. Mit der
Fingerspitze strich sie zart über die Hand des kleinen Mädchens. »Du hast
Schmerzen, nicht wahr?«
Die Kleine zuckte die
Schultern. »Das ist okay. Ich habe mich daran gewöhnt.«
Ein kalter Luftzug
bauschte plötzlich die Vorhänge auf, und Brice warf einen Blick aufs Fenster,
um sich zu vergewissern, dass es geschlossen war. Francesca konzentrierte sich
ganz auf das Kind. In diesen Augenblicken gab es nichts anderes in ihren
Gedanken. Es war, als existierten nur sie und das Kind auf der Welt. »Mein Name
ist Francesca. Wie heißt du?«
»Chelsea.«
»Erlaubst du,
Chelsea, dass ich eine Weile deine Hand halte? Es würde mir dabei helfen
herauszufinden, was in deinem Körper vorgeht.«
Das kleine Mädchen
lächelte. »Und du wirst nicht an mir herumdrücken und mich mit Nadeln
stechen?«
Francesca erwiderte
das Lächeln. »Nein, das überlassen wir besser Brice.« Sie nahm die kleine Hand
in ihre. Die Haut war sehr dünn, beinahe durchscheinend. Das Kind war bereits
sehr schwach. »Ich werde einfach hier neben dir sitzen und mich konzentrieren.
Vielleicht wird es Stellen geben, die sich ein bisschen warm anfühlen, doch es
tut nicht weh.«
Chelsea musterte
Francesca eine ganze Weile, ehe sie offenbar beschloss, ihr zu vertrauen. Sie
nickte ernst. »Gut, ich bin fertig.«
Francesca schloss die
Augen und konzentrierte sich mit aller Kraft auf das Kind, sie verdrängte jeden
anderen Gedanken aus ihrem Kopf. Dann verließ sie ihren Körper als pure
Energie, Wärme und Licht. Sie versenkte sich in den Körper des Kindes und
begann mit einer sorgfältigen Untersuchung.
Das Blut des kleinen
Mädchens war in einem schrecklichen Zustand. Die Krankheit attackierte Chelsea,
und ihr geschwächtes Immunsystem hatte keine Chance, mit dem Angriff fertig zu
werden. Sorgfältig untersuchte Francesca jedes einzelne Organ, Gewebe und
Muskeln und das Gehirn des Mädchens. Einen Augenblick lang drohte großer Kummer
sie zu überwältigen und gefährdete ihre Bemühungen. Sie empfand großes
Mitgefühl mit diesem kleinen Mädchen, das in seinem jungen Leben schon so sehr
leiden musste.
Francesca schwankte,
blinzelte und kehrte in ihren eigenen Körper zurück. Wie immer fühlte sie sich
danach orientierungslos und geschwächt. Schweigend ruhte sie sich einige
Augenblicke lang aus, ehe sie Brice ansah.
»Francesca.« Er
flüsterte ihren Namen hoffnungsvoll. Es war keine Frage. Brice war Arzt. Er
wusste, dass die Medizin Chelsea nicht mehr helfen konnte. Ihr Körper wurde
von der schrecklichen Krankheit überwältigt. Er sah erschöpft aus, und die
Sorge um seine kleine Patientin war deutlich in seinen Zügen zu lesen. Er hatte
alles getan, was in seiner Macht stand, doch es hatte nicht genügt.
»Vielleicht.« Wie
lange würde es dauern, dieses Kind zu heilen und seinen geschwächten Körper
von jeder Spur der Krankheit zu befreien? Würde es ihr gelingen, die
Behandlung zu beenden und vor Sonnenaufgang zu Hause zu sein? War das wichtig?
Das Leben dieses Kindes war
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