Dunkles Begehren
Sonne aufhalten zu können wie die Sterblichen. Sie
hatte viel Zeit und Energie darauf verwendet, die Möglichkeiten für eine solche
Verwandlung zu erforschen. Es hatte etliche Jahrhunderte gedauert, um ihren
Körper dazu zu bringen. Inzwischen war sie so geschickt darin, sich als
Sterbliche zu tarnen, dass sie selbst ihn hinters Licht geführt hatte. Doch nun
hatte er ihre Bemühungen zunichte gemacht, indem er ihr sein Blut gegeben
hatte. Darüber war Francesca sehr zornig. Und sie war fest entschlossen, dass
ihr Leben nur noch wenige Jahre dauern sollte. Sie hatte in Erwägung gezogen,
diese letzten Jahre mit Brice zu verbringen und nach der Art der Sterblichen zu
altern. Dann wollte sie in der Morgendämmerung die ewige Ruhe finden. Dieser
Plan war bereits seit einiger Zeit in ihr gereift.
»Das glaube ich
nicht, Francesca«, flüsterte Gabriel. Sein Körper begann zu schimmern und
durchsichtig zu werden. Er löste sich in feinen Nebel auf und strömte durch das
geöffnete Fenster hinaus. Gleich darauf nahm der Nebel die Form einer großen
weißen Eule an. Gabriel breitete seine mächtigen Schwingen aus und erhob sich
hoch über die Stadt.
Francesca rannte, so
schnell sie konnte, die Straße entlang. Sie hörte ihren pochenden Herzschlag,
ihre Schritte, die auf dem Pflaster widerhallten, die Luft, die mit jedem
Atemzug durch ihre Lungen strömte. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass
dies geschehen würde. Gabriel. In ihrem Volk sprach man nur im Flüsterton von
ihm. Zwillinge. Legenden. Doch die beiden waren tot. Wie war das möglich? Er
hatte sie um ihr Leben gebracht und zu einer endlosen, einsamen Existenz verurteilt.
Nun, da sie endlich einen Weg gefunden hatte, wie eine Sterbliche zu leben und
vielleicht sogar eine Beziehung einzugehen, war Gabriel von den Toten
auferstanden. Hatte er nun etwa die Absicht, sie für sich zu beanspruchen?
Es gab keine
Möglichkeit, vor einem Mann wie Gabriel davonzulaufen. Er war ein erfahrener
Jäger. Gabriel vermochte selbst die geringste Spur eines Feindes zu verfolgen.
Bei seiner eigenen Gefährtin würde es ihm noch leichter fallen.
Francesca ging nicht
langsamer. Vielleicht würde er einfach wieder verschwinden. Schließlich hatte
er so gut wie zugegeben, dass auch Lucian sich erhoben hatte. Er befand sich
noch immer auf der Jagd und würde kein Interesse an ihr haben. Außerdem würde
sie seinen Anspruch niemals akzeptieren. Gabriel hatte sie dazu gezwungen, ihr Volk
und ihre Heimat zu verlassen. Es war die einzige Möglichkeit gewesen. Eine
allein stehende Frau, die unter Männern lebte, die sich so verzweifelt nach
einer Gefährtin sehnten, hätte diesen Männern unendliche Qualen bereitet.
Außerdem hätte sich Francesca niemals mit der Einschränkung ihrer Freiheit
abgefunden. Der Prinz des karpatianischen Volkes hätte sie nicht aus den Augen
gelassen, in der Hoffnung, einer der Männer sei ihr wahrer Gefährte. Ihr Volk
brauchte unbedingt Nachwuchs. Francesca wusste, dass sie nur mit einem einzigen
karpatianischen Mann eine Verbindung eingehen konnte, doch dieser Mann hatte
sie zurückgewiesen, um sich der Verteidigung ihres Volkes zu widmen. In all
den Jahrhunderten hatte sie gelebt, wie es ihr gefiel, in dem Wissen, dass sich
kein Sterblicher mit ihren Fähigkeiten messen konnte und dass kein Vampir sie
je aufspüren würde. Es war nicht besonders schwer gewesen, sich vor ihrem Volk
zu verstecken, da ein solches Verhalten von keiner Frau erwartet wurde.
Im Laufe der Jahrhunderte
hatten sie so viele Frauen und Kinder verloren, dass jede Frau wie ein
kostbarer Schatz gehütet wurde. Man brauchte die Frauen, damit sie Kinder -
insbesondere Mädchen - zur Welt brachten. Die meisten karpatianischen Kinder,
die geboren wurden, waren Jungen, und viele von ihnen starben noch im ersten
Lebensjahr. Das karpatianische Volk war vom Aussterben bedroht. Francesca hatte
sich mit der Einsamkeit abgefunden. Und nun würde sie gewiss nicht ihr ganzes
Leben ändern, weil Gabriel beschlossen hatte, aus dem Nichts aufzutauchen.
Plötzlich spürte
Francesca Feuchtigkeit auf ihren Wangen und warf einen Blick zum Himmel. Die
Nacht war klar und wolkenlos, die Sterne blitzten am Himmel. Erstaunt hob sie
die Hand und berührte die Tränen, die über ihr Gesicht liefen. Nun war sie noch
fester entschlossen, Gabriel keinen Platz in ihrem Leben einzuräumen. Bereits
jetzt hatte er sie zum Weinen gebracht. Er hatte alles ruiniert. Gedankenlos
und selbstsüchtig hatte er ihr
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