Dunkles Begehren
verurteiltest du mich zu einem Leben in Einsamkeit. Das habe ich
akzeptiert. Es ist schon lange her. Und nun gibt es in meinem Leben keinen
Platz mehr für dich.«
Gabriel schwieg,
suchte jedoch eine telepathische Verbindung zu Francesca. Er entdeckte
lebhafte Erinnerungen an jenen Tag. Er sah sich und Lucian durch ein Dorf von
Sterblichen schreiten. Die beiden legendären Vampirjäger. Ehrfürchtig wichen
die Leute vor ihnen zurück. Gabriel sah sich selbst, seine schnellen, sicheren
Schritte, das lange Haar, in dem eine nächtliche Brise spielte. Ein junges
Mädchen erregte seine Aufmerksamkeit, und er wandte den Kopf, ohne seine
Schritte zu verlangsamen. Sein dunkler Blick glitt über eine Gruppe von Frauen,
doch dann sagte Lucian etwas, das ihn ablenkte. Gabriel wandte sich seinem
Bruder zu, setzte seinen Weg fort und blickte nicht zurück. Das junge Mädchen
starrte ihm nach, schweigend und verletzt.
»Ich wusste es
nicht.«
Ihre Augen funkelten.
»Du wolltest es nicht wissen. Das ist ein Unterschied, Gabriel. Doch es ist
nicht wichtig. Ich überlebte die Demütigung und den Schmerz. Es ist so lange
her. Ich habe viele Jahrhunderte lang ein erfülltes Leben geführt. Jetzt bin
ich müde und möchte in die Morgendämmerung gehen.«
Gabriel betrachtete
sie mit festem Blick. »Das kommt nicht infrage, Francesca.« Seine Stimme klang
ruhig.
»Du hast keinerlei
Recht, darüber zu bestimmen, was in meinem Leben infrage kommt. Was mich
angeht, hast du alle Rechte verwirkt, als du dich von mir abwandtest. Du weißt
nichts über mich. Du weißt nichts über das Leben, das ich geführt habe, über
die Dinge, die mich beschäftigen. Ich habe mein eigenes Leben geführt. Ich bin
recht glücklich gewesen und habe viel Gutes tun können. Nun ist es genug. Und
die Tatsache, dass du plötzlich beschlossen hast, wieder zum Leben zu
erwachen, ändert nichts daran. Du bist nicht meinetwegen zurückgekehrt, sondern
für ihn, Lucian. Er hat sich erhoben, nicht wahr? Du verfolgst ihn.«
Gabriel nickte
langsam. »So ist es, doch du musst einsehen, dass unsere Begegnung alles
verändert hat.«
»Nein, das stimmt
nicht«, protestierte Francesca. Hastig öffnete sie die Tür zur Schlafkammer
und eilte durch den Gang, der zum Keller führte. Es gefiel ihr nicht, dass
Gabriel so leicht mit ihr Schritt halten konnte. Wie konnte er es wagen, so
selbstverständlich über ihr Leben zu bestimmen? »Es hat sich nichts verändert.
Du hast noch immer deine Aufgabe, und ich habe mein Leben. Es gehört allein mir,
Gabriel, und nur ich treffe Entscheidungen.«
»Der Prinz unseres
Volkes wird sich vor mir verantworten müssen«, sagte Gabriel mit seiner leisen,
sanften Stimme. »Er hat seine Pflicht vernachlässigt und dich nicht beschützt.
Ist Mikhail überhaupt noch an der Macht?«
»Scher dich zum
Teufel, Gabriel«, herrschte Francesca ihn ärgerlich an. Sie durchquerte die
Küche und ging geradewegs auf den großen Spiegel im Flur zu. Dann strich sie
sich das Haar zur Seite und untersuchte ihren Hals nach verräterischen Spuren.
»Willst du noch
fortgehen?«
Seine tiefe, leise
Stimme ließ Francescas Herz schneller klopfen. Sie wich seinem Blick aus. »Ja,
ich habe Brice versprochen, mir einen seiner Patienten anzusehen. Er soll sich
keine Sorgen machen und womöglich nach mir suchen.«
»Brice kann warten«,
erklärte Gabriel ruhig.
»Es gibt keinen
Grund, Brice warten zu lassen«, erwiderte Francesca. »Ich möchte, dass du mein
Haus verlässt, ehe ich zurückkomme, Gabriel.«
Ein leises Lächeln
umspielte seine Mundwinkel. »Damit solltest du nicht rechnen.« Das Lächeln
erreichte jedoch seine dunklen Augen nicht, während er Francesca nachblickte,
die das Haus verließ. Als sich die schwere Eingangstür mit einem Knall hinter
ihr geschlossen hatte, glitt Gabriel schnell zum Fenster. Francesca ging zu Fuß
mit hastigen Schritten die Straße entlang. Weder benutzte sie wie eine
Sterbliche ihr Auto, noch hatte sie sich in Nebel verwandelt, um durch die Luft
zu strömen, wie es eine Karpatianerin getan hätte. Während Gabriel sie noch
beobachtete, begann sie zu rennen. Sie bewegte sich mit graziler Anmut und war
von einer geradezu poetischen Schönheit.
Gabriel suchte die
telepathische Verbindung zu ihr und legte sich wie ein stiller Schatten über
ihre Gedanken. Francesca hatte große Angst vor ihm. Sie meinte jedes Wort, das
sie gesagt hatte, bitter ernst. Offenbar hatte sie eine Art Selbstversuch
unternommen, um sich in der
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