Dunkles Begehren
wenigstens das verdient hatte. Doch wenn ihr Leben in
Gefahr war, würde er nicht länger warten.
Als Francesca ihn
ansah, glänzten ihre Augen wie schwarze Opale. »Auch das wird nichts ändern,
Gabriel. Ich würde nicht zögern, der Morgendämmerung zu begegnen. Ich fühle
mich für dein Leben nicht verantwortlich. Wenn du die Entscheidung triffst,
uns aneinander zu binden, bleibt das ganz dir überlassen. Ich will keinen
Anteil daran haben. Falls du mir in die ewige Ruhe folgen möchtest, ist auch
das deine Entscheidung. Doch mein Leben gehört mir.«
Gabriel las ihre
Gedanken. Sie war fest entschlossen und meinte jedes Wort ernst. »Francesca,
erzähle mir von deiner Beziehung zu diesem Arzt. Wie weit ist sie gegangen?«
Francesca kuschelte
sich in einen bequemen Sessel. »Ich weiß nicht, was du wissen willst. Ich habe
nicht mit ihm geschlafen, falls du das meinst. Er möchte es. Ich glaube, dass
er mich heiraten will. Eigentlich weiß ich sogar, dass er mich heiraten will.«
Nach kurzem Zögern gestand sie: »Ich habe mit dem Gedanken gespielt.«
Erstaunt hob Gabriel
die Brauen. »Du hast es einem Sterblichen gestattet, so für dich zu
empfinden?«
»Warum nicht? Mein
Gefährte wies mich zurück, und später hielt ich ihn für tot. Es ist mein gutes
Recht, Wärme und Zuneigung zu suchen, wenn ich es wünsche«, antwortete sie
ohne Reue.
»Und was empfindest
du für diesen Sterblichen?«
Ein leises Knurren
lag in seiner sanften Stimme, das Francesca erschauern ließ. Sie würde sich
nicht von ihm einschüchtern lassen. Schließlich hatte sie sich nichts zu
Schulden kommen lassen. Auch wenn Gabriel wieder aus langem Schlaf erwacht
war, schuldete sie ihm nichts.
Gabriel hielt die
geistige Verbindung aufrecht und las Francescas Gedanken. Er trug die
Verantwortung für ihr Leben in Einsamkeit. Sie hatte das Recht, so zu
empfinden. Außerdem sah er ein, dass sie ihr Leben nicht unter der Herrschaft
eines Mannes verbringen wollte. Doch das war ihm gleichgültig. Er hatte
Jahrhunderte damit verbracht, seinem Volk zu dienen. Schlachten. Kriege. Die
ewige Jagd nach den Untoten. Er hatte seine trostlose Existenz ausgehalten, auf
der Lauer gelegen, gejagt und getötet. Die Finsternis hatte sich in seiner
Seele ausgebreitet, und nur mit seinem eisernen Willen hatte er ihr bis jetzt
widerstanden.
Es gab ein
Versprechen, das ihm Kraft verliehen hatte. Eine Hoffnung. Gabriel glaubte
daran, eines Tages seine Gefährtin zu finden. Das jedenfalls hatte er bis vor
etwa zweihundert Jahren noch geglaubt. Dann war sein Vertrauen erschüttert worden.
Vielleicht hatte Francesca Recht. Vielleicht hatte er sie bereits damals
erkannt und war deshalb so sicher gewesen, dass sie existierte. Vielleicht war
es ihre Entscheidung gewesen, sich zu verändern und wie eine Sterbliche zu
leben, die die Finsternis in seiner Seele so übermächtig werden ließ, dass er
sich und seinen Zwillingsbruder in der Erde gefangen gehalten hatte.
Sorgfältig studierte
Gabriel ihre Gedanken. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Er hatte allein
gekämpft, wie es das Schicksal eines karpatianischen Mannes war. Doch
Francescas Leben war so viel schlimmer gewesen. Immerhin war er nicht in der Lage
gewesen, die Einsamkeit und Leere zu spüren. Sie dagegen spürte diese Dinge in
jedem Augenblick. Sie hatte sich nach einer Familie gesehnt, nach Kindern. Nach
einem Mann, der sie liebte und Freud und Leid mit ihr teilte. Zwar hatte sie
als junge Frau seine Ablehnung als sehr verletzend empfunden, sie hatte jedoch
auch gewusst, dass die Karpatianer in großer Gefahr schwebten. Sie war stolz
gewesen, dass er sein Leben für ihr Volk opferte. Und sie hatte ihren Teil
beigetragen, indem sie die Karpaten verlassen hatte, um es den anderen Männern
leichter zu machen.
Francesca hatte ihr
einsames Leben damit ausgefüllt, Musik, Kunst und Wissenschaft zu studieren.
Sie lernte, ihre Anwesenheit vor anderen Karpatianern in der Gegend zu
verbergen. Und auch vor den Vampiren, damit sie die Ungeheuer nicht in ihre
Stadt lockte. Schließlich hatte sie ihr Leben als Heilerin verbracht, im
Dienste anderer. Genau wie er. Francesca war fest entschlossen, ihr Leben in
wenigen Jahren zu beenden. Sie war müde und sehnte sich nach ewiger Ruhe.
Gabriels Rückkehr hatte ihre Meinung nicht geändert. Sie konnte sich kein
anderes Leben vorstellen und hatte nicht die Absicht, sich wieder in die Welt
der Karpatianer einzufügen, da sie glaubte, dort keinen Platz mehr zu
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