Dunkles Begehren
»Es
tut mir so leid, Francesca. Es war falsch von mir, nicht darüber nachzudenken,
was aus meiner Gefährtin werden würde, wenn ich von ihr fern blieb. Und doch
irrst du dich, wenn du sagst, dass es für dich kein Leben gibt. Du bist lebendiger
als alle, die mir je begegnet sind.«
Unruhig stellte
Francesca fest, dass seine Worte sie mit Wärme erfüllten. Sie lachte, um ihre
Verwirrung zu verbergen. »Du kennst doch niemanden sonst.«
Gabriel lächelte sie
an und genoss das Glücksgefühl, das ihn erfüllte. Am liebsten hätte er sie für
alle Zeit angesehen und dem Klang ihrer Stimme gelauscht. Er würde nie müde werden,
ihr ausdrucksvolles Gesicht zu beobachten. Alles an ihr erschien ihm wie ein
Wunder, und er begann gerade erst zu verstehen, dass Francesca kein schöner
Traum war, sondern die Wirklichkeit. Er konnte die Hand ausstrecken und ihre
Haut berühren, die so weich wie Seide war. »Das war nicht nett.«
»Ich weiß.« Gemeinsam
gingen sie zur Schlafkammer hinunter. Seit vielen Jahren hatte Francesca
dieses unterirdische Versteck nicht mehr benutzt, wusste jedoch, dass es
notwendig sein würde. Es war ihr nicht mehr möglich, wie eine Sterbliche zu
schlafen und sich in der Sonne aufzuhalten. Gabriels Blut hatte all das für
immer verändert. Francesca war erschöpft, und nur die heilende Wirkung der Erde
würde ihr die Kräfte zurückgeben.
Mit einer
Handbewegung öffnete Gabriel das Erdreich. Als Francesca zögerte, umfing er
ihre schmale Taille und geleitete sie sanft in die wartende Erde. Dann schützte
er das Haus mit einem Zauber, den niemand überwinden konnte. Außer Lucian. Was
Gabriel wusste, wusste auch er. Einzig sein geliebter Zwillingsbruder konnte
zur tödlichen Gefahr für Francesca und ihn werden. Der Kummer quälte Gabriel so
sehr, dass er die Last als körperlichen Schmerz empfand.
Francesca versuchte,
Abstand von ihm zu halten, doch als Gabriel spürte, wie erschöpft sie war, zog
er sie einfach an sich und gab ihr den telepathischen Befehl einzuschlafen. Er
war unüberwindlich stark, aber Francesca versuchte auch nicht, sich ihm zu
widersetzen. Wenn sie erwachten, würde er sich wieder mit ihr auseinandersetzen
müssen, doch im Augenblick genoss er einfach das Gefühl, sie in den Armen zu
halten und seine Wange an ihr seidiges Haar zu schmiegen.
Gabriel? Du bist
verletzt. Ich spüre deinen Schmerz.
Lucian. Selbst jetzt,
während sie erschöpft im Erdreich vor der Sonne Schutz suchen mussten, gelang
es seinem Zwillingsbruder, den Schmerz in seinem Herzen zu spüren. Doch Lucian
klang nicht hämisch, wie man es von einem Untoten erwarten sollte. In all den
Jahrhunderten der Jagd hatte Luci- ans Stimme nie ihren wunderschönen Klang
verloren. Gabriel verdrängte alle Gedanken, um seinem Bruder nichts von Fran-
cescas Existenz zu verraten.
Gabriel P Dieser Kampf geht nur uns beide etwas an.
Niemand sollte sich einmischen. Sage es mir, falls du mich brauchst.
Gabriel stockte der
Atem. In Lucians Stimme lag ein so starker hypnotischer Zwang, dass ihm
Schweißperlen auf die Stirn traten, während er dagegen ankämpfte. Schließlich
be- schloss Gabriel, seinem Bruder zu antworten. Es ist nur eine
kleine Verletzung. Ich war unvorsichtig. Die Erde wird mich heilen.
Es herrschte
Schweigen, während Lucian sich fragte, ob er Gabriel glauben sollte. Dann war
er verschwunden. Gabriel lag da und dachte an seinen Bruder. Warum war es
ausgerechnet Lucian gewesen? Er war der Stärkere, auf den Gabriel sich immer
verlassen hatte. Lucian war der Anführer gewesen. Selbst jetzt, da er seine
Seele verloren hatte, gelang es Lucian noch immer, Gabriel zu überraschen. Er
eignete sich ständig neue Informationen an, sprach immer freundlich mit Gabriel
und teilte ihm sein Wissen mit.
Gabriel hatte niemals
auch nur die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass sich sein Zwillingsbruder in
einen Vampir verwandeln könnte. Zwar hatte er gewusst, dass Lucian die Fähigkeit,
Gefühle zu empfinden und Farben zu sehen, bereits sehr frühzeitig verloren
hatte, aber er war stark, unabhängig und voller Kraft. Wie war es geschehen?
Wenn Gabriel nur etwas davon geahnt hätte, wäre es ihm vielleicht gelungen,
seinen Bruder zu retten.
Gabriel seufzte
leise, zog Francesca noch dichter an sich und barg sein Gesicht in ihrem
seidigen, duftenden Haar. Das Gefühl, sie in den Armen zu halten, gab ihm
Frieden. Er brauchte sie so sehr, viel mehr, als sie ihn brauchte. Mit seinem
letzten Atemzug sog Gabriel ihren
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