Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
zuzusehen. Doch es schien ganz so, als habe er völlig vergessen, dass sie überhaupt da war.
«Was geschieht, wenn seine Geschichte aufgedeckt wird?», fragte sie.
«Keine Ahnung.» Er stoppte abrupt, und ein verschlagenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. «Ich schätze, sie werden nicht sonderlich erfreut sein, davon zu hören, wie er sie jahrelang hinters Licht führte.»
In seinem Gesicht arbeitet es fieberhaft.
«Weißt du, Karen, wir sind uns wirklich ähnlicher, als man meinen sollte. Beinahe wie richtige Geschwister, findest du nicht auch?» Er lachte wieder. Ein bösartiges Lachen, das ihr nicht gefiel. «Ich werde dir noch was verraten, Karen. Lucas ist auch mein Vater.»
Sein Vater? Natürlich! Wieso war sie nicht eher darauf gekommen? Sie hätte sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlagen können. Der Zorn in seiner Stimme, seine Aufregung, sein Hass auf Lucas, den er unbedingt entlarven wollte.
Vor ihr stand unbemerkt die ganze Zeit ein richtiges Prachtexemplar von einem Vater-Sohn-Komplex. Das machte ihr Jarout um einiges sympathischer.
Ihm ging es nicht um Macht oder einen Aufstieg in der Hierarchie seiner Familie. Genau wie sie, hatte er noch eine Rechnung mit Lucas Vale offen, der als anwesender Vater scheinbar genauso versagte, wie als Abwesender in ihrem Fall.
«Du willst, dass ich mit dir komme?», fragte sie vorsichtig. Das war geraten, aber wohl gar nicht so schlecht, denn sein Gesicht hellte sich auf, als er neben ihr in die Hocke ging.
«Karen, ich brauche dich. Als Beweis für seine Lüge.» Seine Finger drückten sanft ihre Schulter. «Wir beide könnten davon unseren Vorteil haben. Wir wollen doch dasselbe, oder nicht?»
Sie nickte. «Einverstanden!», sagte sie, ohne weiter zu überlegen und sah Jarout offen und mit aller Entschlossenheit in die bernsteinfarbenen Augen, deren Farbe sie zwar immer noch irritierte, doch er sollte spüren, dass sie es ernst meinte.
«Bist du sicher? Vielleicht solltest du noch einmal darüber nachdenken. Ich habe keine Lust drauf, dass du es dir im letzten Moment doch noch anders überlegst. Wenn du jetzt zusagst und mit mir kommst, dann musst du die Sache auch durchziehen, klar?»
Karen schüttelte den Kopf. «Ich bin mir völlig sicher. Warum sollte ich Mitleid mit Lucas Vale haben? Schließlich hat er sich einen Dreck darum geschert, wie ich mich fühle. Er soll endlich anfangen, sich Gedanken über mich zu machen.»
Mit einer Hand zog er sie mit sich hoch. «Das wird er. Das verspreche ich dir», knurrte Jarout grimmig. Dann packte er sie unsanft an den Armen, und ihre gemeinsame Reise durch die Spiegel begann.
6. Kapitel
«Peter schläft», flüsterte Karen und sah dabei aus, als lausche sie auf ein leises Geräusch, das ihm entgangen war. Jarout vermutete, dass sie genau wie Lucas die Anwesenheit und den Zustand von Menschen spüren konnte. Schon wieder eines der Talente, die er gern für sich beansprucht hätte, doch das Einzige, worüber er verfügte, war die von seinem Vater geerbte Fähigkeit, in den Spiegeln zu reisen. Gut, das war auch praktisch. Aber oft wünschte er sich, einige nützlichere Begabungen, wie zum Beispiel, die Gedanken der Menschen lesen zu können, oder ihnen, wie seine Mutter, den eigenen Willen aufzuzwingen.
«Warte hier! Ich brauche nicht lange», bat sie schnell und schlüpfte durch die Tür, die sie gleich wieder hinter sich schloss, ehe er protestieren konnte.
Eigentlich wollte er ohne großes Hin und Her sofort in Richtung Genf aufbrechen, doch sie sagte, sie müsse erst noch nach Hause. Zu Aimees Haus. Das Haus dieser Frau, bei der Lucas jene schicksalhaften Tage verbracht hatte, stand in einem kleinen Kaff außerhalb der Stadt, dessen Name er noch nie gehört hatte. Der Kasten, klobiger Altbau am Ende einer Straße, sah aus, als fiele er jeden Moment in sich zusammen. Vielleicht stand es deshalb auch so abseits von den anderen Häusern. Keiner traute sich, ein neues Haus in seine Nähe zu stellen.
Er hatte keine Lust zu warten. Lautlos zog er die Haustür auf und folgte ihr. Karen war irgendwo im oberen Stockwerk. Er hörte sie herumstapfen. Wahrscheinlich war sie noch eine Weile dort oben beschäftigt. Auch gut. Das gab ihm Gelegenheit, sich hier unten in aller Ruhe umzusehen.
Da war die Tür zum Keller. Was für ein Loch. Bestimmt waren dort unten lauter ekelhafte Insekten oder sogar Ratten. Widerlich. Was um alles in der Welt fand Lucas nur an diesen Menschen? Sie konnten nicht
Weitere Kostenlose Bücher