Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
in der Dunkelheit. »Ich will nicht nur mit dieser Familie leben, ich will ein Teil von ihr sein. Verstehst du das?«
Calman nickte. »Sicher verstehe ich das. Ich verstehe dich, doch du musst begreifen, dass das nicht alle tun. Jetzt nicht und vielleicht niemals. Erinnerst du dich, dass Lucas dich vor die Wahl gestellt hat, im Haus der Familie oder weiter in London zu leben? Damals versuchte er dir zu erklären, dass ein Leben mit den Hirudo alles andere als einfach wird. Das waren nicht nur leere Worte.«
Karen schniefte leise. Als Lucas sie warnte, dass sie lernen müsse, Grenzen einzuhalten, verschwendete sie keinen Gedanken an die Ernsthaftigkeit seiner Worte. Sie glaubte stets, dass sie die Wunder und Abenteuer für jeden Mangel entschädigen könnten. Irgendwie jedoch war diese Demut verschwunden. Unmerklich nahm Begehren diesen Platz ein.
Sie versuchte sich an jene Zeit zu erinnern, da sie die Hirudo mit ihrem bloßen Anblick, ihrer Existenz begeisterten. Damals war sie zufrieden mit dem, was sie ihr gaben, ohne dass sie darum bat. Doch wie auch immer sie diese Erinnerung drehte und wendete, sie konnte die Gefühle von einst nicht mehr zurückrufen.
»Du solltest mit Lucas reden, wenn wir zurückkommen. Ich verstehe nicht, warum du das nicht schon längst getan hast.« Sanft strich er ihr über die feuchten Wangen.
»Ich weiß nicht. Vermutlich dachte ich, er ist schon genau so kaltherzig wie Beryl und Eliane. Und Arweth.«
»Karen«, hob Calman an.
»Nein, schon gut«, unterbrach sie ihn, »ich hör’ auf. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe, zu erwarten, dass ich Anspruch auf jeden Teil eures Lebens habe.«
»Das ist es nicht, Karen. Du hast einen Anspruch. Doch nur den, den jeder andere deines Alters und Standes hat. Nicht einmal Denis wird in jedes kleine Detail eingeweiht und er ist um einiges älter als du.«
»Da hast du allerdings recht. Und meine Chancen, ihn einzuholen, stehen nicht sonderlich gut«, grinste sie und war durch seine einfühlsamen Worte beruhigt.
»Nein, das stimmt wohl. Aber um auf das angebliche Geheimnis zurückzukommen, dass du hinter Arweths und meinem Besuch vermutest ...«
»Ja?« Sie sah ihn hoffnungsvoll an.
»Oh nein, glaub nicht, dass ich dich jetzt einweihe. Nur so viel: Du liegst richtig mit deinem Verdacht. Wir kamen nach Genf, weil es etwas Wichtiges zu besprechen gibt. Und noch mehr Hirudo werden kommen, also wunder dich nicht, wenn Lucas dich in gewissen Abständen bitten wird, dein Zimmer nicht zu verlassen. Möglich ist auch, dass du einige Nächte in London verbringen musst.«
Sie wollte protestieren, doch Calman legte ihr leicht seinen rechten Zeigefinger an die Lippen.
»Ich möchte dich jetzt bitten, dass du nicht widersprichst und tust, worum Lucas dich ersuchen wird. Im Gegenzug dazu verspreche ich dir auch etwas. Und zwar, dich einzuweihen, sobald auch alle anderen Hirudo aufgeklärt werden, deren Status mit deinem vergleichbar ist. Ich verspreche dir, dass du nicht übergangen wirst.« Er blickte sie eindringlich an. Im Dunkeln konnte sie die rötlich schimmernde Iris seiner Augen erkennen. »Einverstanden?«
Karen atmete langsam ein und aus. Heimlich kreuzte sie Zeige- und Mittelfinger der linken Hand hinter ihrem Rücken, ehe sie antwortete. Sie hegte keineswegs die Absicht, ihre Versprechen zu halten. »Einverstanden«, erwiderte sie.
Mit väterlicher Geste strich er ihr rotes Kraushaar zurück. »Gut, dann lass uns jetzt von hier verschwinden. Am besten rufe ich noch einmal in Genf an und dann bringen wir dich nach Dorkin.« Calman sah den Schreck in ihren Augen. Ängstigte sie der bloße Gedanke an das Haus ihrer Mutter denn wirklich so sehr?
»Natürlich nur, wenn du willst. Sonst werde ich irgendwo ein Zimmer für dich besorgen.«
Sie nickte ergeben.
»Ist ja nur für heute Nacht. Ich bin sicher, Sappho reist noch vor Morgengrauen wieder ab.« Calman versuchte seiner Stimme einen aufmunternden Klang zu verleihen. Tatsächlich wusste er nicht, wie lange Arweth gedachte, Karen zu verbannen. Doch das konnte er ihr nicht sagen, ohne einen erneuten tränenreichen Ausbruch zu riskieren. Eine derartige Aufregung pro Nacht reichte ihm.
Calman war heilfroh, dass Karen nicht mehr weinte. Ihm lag wirklich viel an ihr. Sie so unglücklich zu sehen, war schwer zu ertragen. Lucas machte sich die Sachen reichlich einfach. Karen zu beruhigen und ihr zu erklären, wie die Dinge standen, wäre seine Aufgabe. Schließlich war er ihr
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