Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
Seit Jahrzehnten hatten die Hirudo das Reich ihrer Geburt nicht mehr betreten. Ihr Stammvater Maratos ließ jeden, der einen Schritt auf den Boden der Purpurwelt wagte, töten.
»Vielleicht hat er es schon vor langer Zeit mitgebracht, als Melacar noch sicher war«, meinte sie und ließ das kleine Fläschchen vorsichtig in ihre Hosentasche gleiten.
»Ja, vielleicht, oder auch nicht.«
»Was meinst du damit?«
Calman antwortete nicht, sondern rief in Richtung der offen stehenden Wohnungstür: »Kommst du, Jarout? Wir gehen. Vielleicht ist Mister Turner später wieder hier.«
»Calman, was meinst du mit: vielleicht nicht?« Karen wusste, dass mehr hinter dieser Äußerung steckte.
»Nichts weiter«, wehrte der Hirudo ab.
»Verarsch mich nicht, Calman. Du hast gerade eben vermutet, dass dieser Kerl erst vor Kurzem in Melacar gewesen sein könnte und lebend zurück gekommen ist. Du weißt, was das bedeutet. Wie kommst du darauf? Ich bin nicht blöd, also raus mit der Sprache.«
»Da ist nichts weiter. Nur eine dumme Bemerkung, das ist alles. Schließlich kann man ja nie wissen, ob ...«
»Ob was? Ob der, den wir suchen, etwa Maratos ist?« Laut ausgesprochen klang dieser Verdacht aberwitzig. Doch je länger Karen darüber nachdachte, umso einleuchtender schien er auch.
»Sicher nicht«, wehrte Calman ab. »Dann schon eher einer seiner Verbündeten.«
»Und warum sollte er jemanden hierher schicken? Doch nicht etwa, um einen nach dem anderen von euch zu töten?«
Dass Calman so ruhig blieb, ließ Karen vermuten, dass er nicht zum ersten Mal diese Möglichkeit in Betracht zog. Er schien sehr vertraut mit diesem Gedanken.
»Darum geht es also. Hab ich recht? Deshalb seid ihr, du und Arweth, in das Haus der Familie gekommen. Irgendwas Schlimmes ist passiert und Maratos hat damit zu tun, nicht wahr?« Die Taschenlampe verlosch endgültig und samtene Finsternis hüllte sie ein. Karens Augen glänzten wie schwarze Seen in dem blassen Oval ihres Gesichts, das nunmehr ein Schemen in der Dunkelheit des Hausflurs war. Sie bebte am ganzen Leib.
»Nun sag schon!«, drängte sie und packte seinen Arm. »Gott, speis mich nicht so ab! Wenn du nicht sofort antwortest, lass ich mich von Jarout zurückbringen und dann könnte ihr sehen, wie ihr ohne mich Leute wie Somers aushorcht.«
»Vergiss es, Karen.« Mit einem Mal schien Calman die Geduld zu verlieren. »Selbst wenn ich deine Drohung ernst nähme, könntest du sie nicht in die Tat umsetzen. Arweth hat deine Anwesenheit im Haus für die Dauer einer Nacht verboten. Weder wird Jarout dich dorthin bringen, noch wird dir jemand dort die Tür öffnen, wenn du davor stehst.«
Fassungslos schnappte Karen nach Luft. Arweth verbot ihre Anwesenheit. Was bildete sich dieses Arschloch eigentlich ein? Das konnte er doch nicht machen? Das erlaubte Lucas niemals. Calman, der ihre sich überschlagenden Gedanken aufgeschnappt hatte, griff ihre Hand.
»Lucas kann gar nichts dagegen unternehmen, selbst wenn er wollte. Die Familie erwartet den Besuch meiner Schwester und der ist wichtiger als du. Selbst wichtiger als ich oder dein Vater. Ich kann und darf dir nicht mehr sagen. Glaub mir, ohne einen guten Grund würde Arweth niemals um deine Abwesenheit bitten.«
»Ach, hör doch auf, Calman. Du weißt doch auch, dass ich nichts weiter als ein nettes Haustier bin. Wäre ich nicht Lucas Tochter und verfügte nicht über einige putzige Talente, dann hätten sie mich schon längst ausgeschlossen. Schlimmer noch, ich wäre vermutlich gar nicht mehr am Leben«, rief sie und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Das ist Unsinn«, wiegelte Calman ab, »und das weißt du auch. Natürlich reagieren einige von uns misstrauisch Menschen gegenüber und nicht wenige sind gefangen in ihrer idiotischen Arroganz. Aber wenn du die Aufrichtigkeit derer, die dich lieben, bezweifelst, dann bist du dümmer als ich dachte. Denk an Denis und Blanche. Oder Galina. Oder mich. Warum sollte ich dich wohl über den halben Globus schleppen und Nächte, ja, Wochen mit dir verbringen? Ich bin vielleicht in mancher Hinsicht seltsam, aber masochistisch veranlagt bin ich eindeutig nicht.«
Er zog sie zur Treppe und drängte sie, sich neben ihn zu setzen.
»Dann behandle mich nicht wie ein kleines Kind. Weih mich ein, lass mich teilhaben. Ich will mich ja nicht einmischen in eure Angelegenheiten. Alles, was ich möchte ist, mich nicht ständig ignoriert zu fühlen.« Karens flehentlicher Blick suchte seine Augen
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