Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
an ihrem Haar. Er nickte. »Sieht aus wie Elmsfeuer oder so was«, meinte er.
Ein mattes Keuchen entfuhr ihrer Kehle und sie wich zurück, bis sie erschrocken gegen das Geländer der Treppe nach oben stieß. Was immer sich dort unten aufhielt oder aufgehalten hatte, war stark und blind.
Stark und blind. Was diese Worte bedeuten sollten, wusste sie nicht. Jedoch spürte sie ganz deutlich den brennenden Hass, der ihr wie eine schwarze Flutwelle aus der Tiefe entgegenschlug. War dieses Etwas blind vor Hass? Unter dem Ansturm der allesverschlingenden Emotionen taumelte Karen zurück. Hilfe suchend griff sie hinter sich. Schnell packte Calman sie bei den Schultern und hielt sie fest.
»Gott, du siehst aus wie der Tod. Was hast du?«, fragte er besorgt. Unten erlosch das Licht, als hätte jemand einen Schalter betätigt. Zugleich ließ auch der Druck in ihrem Inneren nach und sie gewann wieder Gleichgewicht. Verwirrt schüttelte Karen den Kopf. Die ganze Sache fing an, wirklich unheimlich zu werden. Gerade eben spürte sie beängstigende Gefahr. Wie ein Tier, das in kopfloser Panik sogar über den Rand eines tiefen Abgrunds flüchtete, wäre sie um ein Haar abgestürzt.
Vielleicht hätte sie doch die Finger davon lassen sollen. Da waren genug wohlmeinende, warnende Stimmen gewesen, die ihr rieten, sich nicht in die Angelegenheiten der Hirudo zu mischen. Calman selbst wies stets auf die Risiken hin und fürchtete oft, sie nicht immer beschützen zu können. Erst die Sache mit der Leinwand. Dann, was im Salon passiert ist und nun auch noch der Klabautermann im Keller. Haha, jetzt werd nicht komisch, Fräulein, dachte sie.
»Ich denke, ich bleibe hier. Wenn du unbedingt willst, dann geh du allein runter.«
Er sah sie erstaunt an. Wenn Karen sich weigerte, einen Raum zu betreten, dann steckte dahinter nichts Gutes.
»Sieh hinter der Holzwand nach!«, meinte Karen, und als Calman sie wieder verständnislos anblickte, fügte sie hinzu: »Vertrau mir. Wenn da unten was zu finden ist, dann hinter der Wand.«
Unruhe erfasste sie, als sie ihn in der Dunkelheit verschwinden sah. Am liebsten hätte sie ihn zurückgerufen. Niemand sollte dort hinuntergehen. Schon gar nicht allein. Eine Welle der Übelkeit ließ ihre Kehle eng werden. Von unten hörte sie Calman schimpfen.
»A ... alles in Ordnung?«, rief sie mit rauer Stimme.
Ein lautes Poltern war die Antwort. Calman hörte sie nicht. Vielleicht sollte sie Jarout rufen. Besser ihn als gar keine Hilfe.
»Calman?« Sie lauschte, doch kein Laut drang aus der Finsternis.
Der Lichtkegel ihrer Lampe war längst zu einem gelblichen Flimmern verblasst. Bis sie ganz den Geist aufgab, war nur noch eine Sache von Minuten. Noch einmal rief sie seinen Namen. Diesmal antwortete er. Erleichtert atmete Karen auf.
Sekunden später erschien er in dem matten Schimmer der Taschenlampe.
»Ich denke, hier sind wie erst einmal fertig«, murmelte er.
»Hast du etwas gefunden?«
»Dort unten ist niemand. Ich fand das hier«, antwortete er und hielt ein kleines Glasfläschchen hoch, »und möglicherweise den Schlafplatz. Sicher bin ich mir zwar nicht, aber alle Anzeichen sprechen dafür.«
Karen nahm die Flasche aus seiner Hand, um sie genauer zu betrachten. Keine fünf Zentimeter war sie groß, aus durchscheinendem, rotem Glas und mit winzigen, filigranen Goldmustern verziert. In dem nadelörfeinen Flaschenhals steckte fest ein Glaspfropf, der den flüssigen Inhalt sicher einschloss.
»Sieht hübsch aus«, meinte sie.
Calman schnaubte verächtlich. »Das ist das Werk der Saharad. Was drin ist, kann ich mir auch denken. Besser, du behältst es.« Karen blickte ihn fragend an. Calman zögerte kurz, dann erklärte er: »Das ist um’tejesh. Ein Gift, das auf uns tödlich wirkt, wenn wir damit in Berührung kommen. Keine Angst, dir kann nichts passieren. Gefährlich ist das Zeug nur für uns Hirudo.«
»Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt.«
Calman schnaubte angewidert. »Zuletzt hab ich es in Melacar gesehen, als Maratos eine Phiole, ähnlich dieser, einem Saharad abnahm, ehe er ihm die Kehle aufriss und ihn seinen Sklaven zum Fraß vorwarf. Die Saharad sind ein Nomadenvolk in unserer Welt und darauf spezialisiert, uns zu bekämpfen. Unser Freund hier muss dort gewesen sein und hat das Gift zu irgendeinem Zweck mitgebracht. Vermutlich hat er es hier vergessen. Sehr unvorsichtig von ihm. Was ich nicht verstehe, ist, wie er daran gekommen ist. Und vor allem wann.«
Karen nickte.
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