Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen. Zum einen das und zum anderen werden wir ihre Hilfe vielleicht doch benötigen. Sie ist die Einzige von uns, die Informationen aus den Leuten herausbekommt, von denen nicht einmal die Befragten wissen, dass sie sie haben.«
Erneut erstaunte Calman Jarouts Besonnenheit. War er zu gutgläubig, dahinter Aufrichtigkeit zu vermuten? Zumindest glaubte er aus seinen Worten so etwas wie Respekt herauszuhören. Vielleicht hegte Jarout tatsächlich die aufrichtige Hoffnung, Karen zu versöhnen. Vielleicht.
Karen wartete neben der Eingangstür. Ihr unsteter Blick suchte in der Dunkelheit nach ihm.
»Wir sind hier«, sagte er leise. Sie atmete erleichtert auf. »Jarout ...«, flüsterte sie.
»Ist bei mir. Komm, wir gehen.«
»Wohin?«
»Ich muss mit Arweth sprechen.«
Karen konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken. Verständnisvoll streichelte er kurz ihre Schulter und öffnete dann die Tür. Draußen reichte er ihr Turners Notiz, die sie im Schein der Straßenlaterne las.
»Stehen die Dinge in Genf nicht anders, führt uns unser nächster Schritt nach Köln. Es sei denn, du möchtest in Aimees Haus ... entschuldige, ich meine in dein Haus.«
Karen schüttelte heftig den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Ich begleite euch. Und was Arweth dazu sagt, ist mir gelinde gesagt schweineteuer ...«
»Ja, genau. Aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf, lass ihn das bloß nicht hören.«
»Und warum nicht, hä? Fallen ihm dann die Ohren ab?«
Jarout lachte laut heraus, doch Calmans Blick brachte ihn abrupt zum Schweigen.
»Das wohl nicht, aber glücklich würde ihn eine solche Bemerkung auch nicht machen.« Er ließ Karen und Jarout zurück und ging zu der Telefonzelle, die er bereits bei seinem letzten Gespräch benutzt hatte.
Während er wählte und dem durchdringenden Tuten lauschte, beobachtete er die beiden. Sie standen da wie zwei Hunde, deren Knochen beim Streit darum verloren gegangen war. Sie belauerten einander. Jarout scharrte mit den Schuhen auf dem Asphalt und Karen tat so, als bewundere sie die Struktur der grauen Hausfassade. Dazwischen warf einer dem anderen immer wieder einen verstohlenen Seitenblick zu. Wenn sie sich nicht bald ... Seine Gedanken wurden jäh von Blanches Stimme am anderen Ende der Leitung unterbrochen.
»Ja, ich bin’s, Calman«, sagte er rasch.
»Oh, du willst sicher Arweth oder Lucas sprechen. Die beiden sind im Arbeitszimmer. Sappho ist eingetroffen. Ich weiß nicht ...«
»Es ist dringend. Sie werden sicher für ein paar Minuten auf Lucas verzichten können. Holst du ihn bitte.«
Er hörte ein Seufzen und dann ein klackendes Geräusch, als Blanche den Hörer auf dem Tisch ablegte. Aufmerksam lauschte er auf die Hintergrundgeräusche. Das leise Öffnen und Schließen einer Tür, Schritte, gedämpfte Stimmen. Vor seinem inneren Auge sah er den spiegelnden Marmor in der Halle, die lange, gewundene Treppe und das große Dove-Gemälde an der Wand daneben. Dann schob sich das Bild seiner Schwester vor diese Vision. Sappho, wie er sie zuletzt in ihrem Domizil sah. Ihre schlanke, groß gewachsene Silhouette zeichnete sich unter dem transparenten Stoff ihres weißen Kleides ab. Eine Haube aus gestickten Perlen und Federn schmückte ihr Haupt und langes, seidig schwarzes Haar schmiegte sich ihr an Wangen und Hals.
So war sie ihm von ihrer letzten Begegnung in Erinnerung. Und er verstand nicht, warum sie immer noch in Tepoca war. Immer noch in dieser gott- und menschenverlassenen Pyramide hauste. Ihr Volk war nur noch eine Nation von Geistern. Trotzdem schimmerten in den Augen seiner Schwester immer noch die Feuer blutiger Rituale. Hell flackernder Schein erleuchtete den nächtlichen Himmel. Am Fuße des monumentalen, steinernen Bauwerks tanzten die Krieger und Frauen ihr zu Ehren in leuchtend bunten Gewändern.
Doch entgegen seinem ersten Verdacht war Sapphos Verstand nicht umnebelt und sie alles andere als weltfremd. Sie wusste, dass sie allein und ihr nur noch Parfait, ihr Geliebter, geblieben war. Dennoch weigerte sie sich bewusst, ihren versteckt gelegenen Zufluchtsort im brasilianischen Urwald zu verlassen. Sie zu überreden, nach Genf zu kommen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Maratos zu planen, war ein wortgewaltiger Kraftakt gewesen. Doch jetzt war sie da und Arweth tanzte nach ihrer hochherrschaftlichen Pfeife. Ganz so als käme der Abstieg aus ihrem Olymp einem Wunder gleich.
»Calman.« In Lucas Stimme klang ein
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