Dunkles Erwachen
Unruhe im Zaum zu halten, doch die Hitze zwang sie schnell wieder in den Schutz der Pfeiler. Unwillig blickte sie zur Seite. Ihr Auftrag war es, einen weißen Wilden mitten in Kenia aufzustöbern. Amos Vanderbuildt hatte sie über viele Details im Unklaren gelassen. Das war sie von ihm gewohnt. Sie sollte immer mit einem Minimum an Informationen ein Maximum an Erfolg aus einer Situation holen. Dafür war sie engagiert worden – für diese schwierigen, unlösbaren Fälle, von denen andere die Finger ließen.
Doch dieser Fall war selbst für sie etwas zu bizarr.
Alles hatte reibungslos geklappt. Der Flug nach Kenia, die Einreise an den Zollbehörden vorbei, das Treffen mit den Mitarbeitern von Vanderbuildt Industries in Nairobi, die nicht wussten, für welche Aufgabe sie tatsächlich abberufen wurden. Die Erkundungen des ersten Nationalparks, die ungewöhnliche Meldung über den Zug der Löwen quer durch das Land.
Alles …
… und dann lag dieser Wilde bewusstlos mitten auf ihrem Fahrtweg durch diese ungewöhnlichen Ruinenfelder.
Janet sah zu ihm hinüber und schüttelte den Kopf. Sie hatten eine provisorische Unterkunft errichtet und eine kleine Plane aufgespannt, um den halb nackten Mann vor der Sonne zu schützen. Alice Struuten, die Fotografin, hatte sich prompt bereit erklärt, sich um ihn zu kümmern, bis er das Bewusstsein wieder erlangte.
Janet hatte sich die Frau mit dem langen, leicht gewellten brünetten Haar bei ihrer Ankunft am Flughafen nur kurz angesehen und sie als »Fotohäschen« abgehakt. Sie war etwas jünger als Janet und hatte bereits einige Fotostorys über Ostafrika in Magazinen veröffentlicht. Wobei sie sich auf vielen der Fotos selbst gut in Szene setzte. Züchtig genug bekleidet, um keinen Ärger zu verursachen, doch knapp genug, um die Auflage zu steigern.
Bisher hatte sie es unterlassen, Janet um ein Gruppenfoto »Dame mit wildem Mann« zu bitten. Dabei hätte es Janet mehr als gereizt, ihr darauf die passende Antwort zu geben.
Verärgert wischte sie sich mit dem Zeigefinger den Schweiß von der Stirn. Die Luft vor ihren Augen flimmerte. Sie kauerte wieder am Boden auf einer der längst zerfallenen Säulen und warf kleine Steinbrocken durch die Luft.
Offiziell wusste niemand etwas von einem weißen Wilden, der sich in dieser Gegend aufhielt. In den Medien ließen sich keine Berichte über ihn finden. Auch Alice, die sich seit ein paar Monaten in Kenia und Tansania aufhielt, hatte noch nie von ihm gehört. Doch erstaunlicherweise fanden sich dann doch Einheimische, die von ihm zu erzählen wussten. Zumeist Fischer oder Jäger, die selbst in den abgelegenen Ecken der Region zu Hause waren. Ihre Informationen ließen sich wie ein Mosaikbild zusammensetzen und formten aus dem Fabelwesen ein grobes Bild, das seine Spuren hier in der afrikanischen Savanne hinterließ.
So sehr sich die Kenianer über ihn wunderten, wenn sie ihn aus der Ferne sahen, so sehr schienen sie froh zu sein, ihm nicht direkt zu begegnen. Denn er hielt sich ihrer Aussage nach meist in der Nähe von Löwen auf. Manche von ihnen nannten ihn daher den »Geist der Löwen«, der sie in Menschengestalt zu sich locken wolle.
Janet kniff die Augen zusammen. Als sie dann von dem ungewöhnlichen Verhalten der Löwen gehört hatte, stieß das Drängen der Fotografin, den Raubtieren zu folgen, bei ihr auf offene Ohren. Sie konnte ihrem Instinkt normalerweise blind vertrauen und hatte sofort eine Expedition in diese Gegend organisiert.
Die lokale Miliz, die auf Vanderbuildts Gehaltsliste stand, hatte großzügig ihren Schutz angeboten. Janet musste einiges an Bargeld sowie den Einfluss von Vanderbuildt Industries spielen lassen, um deren Enthusiasmus zu bremsen und freie Hand zu haben. Von dem, was hier geschah, sollten nicht mehr Leute wissen als unbedingt nötig.
Doch je näher sie ihrem Ziel kamen, desto zurückhaltender wurden auch die Menschen, die sie befragten. Janet musste sich manch eine Fabel und Legende anhören, die sich nun erfüllen werde. Innerlich schüttelte sie nur den Kopf. So sehr die Menschen hier inzwischen mit Handys und Internet lebten – viele von ihnen hielten noch immer abergläubisch an den alten Märchen fest, mit denen schon ihre Großväter als Kinder geängstigt worden waren.
Janet konnte das nur recht sein. Keiner der Dorfbewohner wagte sich zurzeit in dieses Gebiet. Sie hatten ihr nur den Weg gewiesen und von den Ruinenfeldern erzählt, die einst der Löwengeist bewohnt habe. Was lag
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