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Dunkles Erwachen

Dunkles Erwachen

Titel: Dunkles Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knip
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fixierten einen Punkt jenseits des Horizontes und folgten einer Spur, als könnten sie in der Entfernung deutlich eine Bewegung ausmachen.
    [Shion. Er ruft] , antwortete sie ihm.
    Talon öffnete den Mund, um sie zu fragen, wer Shion sei. Doch in diesem Augenblick schossen Schmerzen wie eine tosende Brandung durch seinen Kopf und schlugen tief in ihm ein. Sie zogen ihn mit sich, zwangen seine Augen, in die gleiche Richtung zu blicken wie die Löwin. Die Sturmbö einer grollenden Stimme brauste in ihm auf und prasselte in unverständlichen Lauten auf ihn ein.
    »Nein!«, brachte er nur hervor und presste die Hände gegen den schmerzdurchfluteten Kopf. »T'cha, wer -?«
    Der Boden schwankte vor seinen Augen. Nur verschwommen konnte er sehen, wie sich die Löwin aus ihrer Starre löste und den kleinen Abhang durch das dürre Gras hinabstapfte.
    [Shion] , erwiderte sie ihm nur. [Er will uns.]
    Ruckartig setzte sich Talons Körper in Bewegung. Seine Glieder führten unkontrollierte Bewegungen aus, einer Gliederpuppe gleich, die von ungeschickter Hand geführt wird. Die Landschaft verschwamm in wilden Farben, die sich zu neuen Bildern zusammensetzte.
    »Ja, ich folge«, kam es unbewusst über seine Lippen. Im nächsten Augenblick jedoch wehrte sich jede Faser in seinem Leib gegen die beherrschende Macht der lenkenden Stimme.
    »Nein! Mein – Weg. Einer, einer – von euch.« Das Blut pochte heftig in seinen Schläfen, während er versuchte, wieder die Oberhand zu gewinnen. »Nein, keiner – – von euch!«
    [KOMM] , dröhnte die Stimme in ihm auf und wischte jeden Widerstand mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit beiseite. Talon spürte, wie sich die Gedanken in ihm auflösten, verflüchtigten, wie die letzten Schleier morgendlichen Nebels. Deutlich konnte er durch das fremdartige Muster vor seinem inneren Auge den Weg erkennen, der ihm gewiesen wurde.
    »Shion«, flüsterte er heiser und folgte der Löwin, die unbeirrt nach Südwesten zog.
     
    Kairo war erfüllt von einer Hitze, die sich schwer über die Straßen legte. Die Menschen in der ägyptischen Millionenstadt waren den kaum auszuhaltenden Mantel eines immerwährenden Smogs längst gewohnt, in dem sich die Abgase einer nicht enden wollenden Autoschlange mit der Feuchtigkeit des träge dahinfließenden Nils vereinten.
    Doch an diesem Abend waren die Straßen wie leer gefegt. Selbst in den Straßencafés hielt sich kaum ein Gast auf, der an einer Wasserpfeife saugend den Verkehr beobachtet hätte. Die Menschen versteckten sich in den Häusern und hofften, dass die Stromversorgung nicht versagen mochte und die Klimaanlage ihnen eine gewisse Erholung schenkte.
    Jenseits des Stadtkerns gingen die zersiedelten Vororte nahtlos ineinander über. Immer wieder zeugten Geröllhalden und brüchige Ziegelbauten von nie fertiggestellten Bauvorhaben, die hier draußen nach den Unruhen des arabischen Frühlings längst vergessen worden waren. In ihnen lebten jene Bewohner Kairos, denen es selbst an Geld für eine einfache Lehmbehausung fehlte.
    Aus dem Lautsprecher an der Fassade einer schmucklosen Moschee lösten sich die aufgezeichneten Rufe zum letzten Adhan, zum Abendgebet. Sie zogen wie ein wehmütiges Klagen über die Häuser und vermengten sich mit den schwachen Echos entfernter Rufe, die das Gebet ebenso besangen.
    Die Rufe erreichten die Ohren des Hünen nicht, der mitten im Bauschutt eines halb fertigen Hauses im Schatten einer Mauer lag. Der kahlköpfige Schwarze stöhnte in seinem unruhigen Schlaf unentwegt leise auf. Sein löchriges Unterhemd war vom Schweiß und Staub längst speckig geworden und legte sich wie eine schmierige Schicht auf den breiten, muskulösen Oberkörper.
    Der Atem des Mannes ging hastig. Fiebrig glänzender Schweiß stand auf seiner Stirn, deren eine Seite von schmalen, bunten Perlenschnüren verziert war, die an dem letzten kleinen Haarschopf befestigt worden waren. Entlang der Stirn zeichneten vernarbte Einbuchtungen tiefe Schatten in die Haut, als sei dort etwas entfernt worden.
    »Shion!«, stieß er plötzlich aus und erwachte. Ohne eine Spur von Müdigkeit oder Schwäche blitzten seine Augen in der Dunkelheit auf.
    Von der anderen Seite des Gebäudes war ein leises Fluchen zu hören. Ein von Pockennarben gezeichneter Araber sprang von seinem Schlafplatz auf und kam wankend auf die Beine.
    »Eh, halt's Maul, du schwarze Laus!«, rief er wütend und drohte dem Hünen mit der Faust. »Leg dich schlafen, du Penner. Ich bin

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