Dunkles Erwachen
ihr geschlossen hatten. Bei Gelegenheit würde er sich wieder auf eine Nacht zu ihr einladen.
Dann drehte er sich zu dem graubraun verdunkelten Fenster und sah den Menschen auf der Straße zu, wie sie sich ihren Weg durch die Stadt bahnten. Die Wangenknochen traten hart hervor und zeichneten deutliche Linien in das herbe Gesicht.
Bergstrøm, du würdest Millionen dafür zahlen, zu erfahren, wo sich dein Liebling aufhält …, drehten sich seine Gedanken um das Bild, das sich nicht aus seinem Kopf bannen ließ.
Die alte Löwin grollte zufrieden und drehte sich auf die Seite.
[Etwas weiter oben, mein Sohn], löste sich ein heiseres Fauchen aus ihrer Kehle. Gehorsam kratzten die Finger durch das Fell am Rücken und schabten dabei mehrere kleine Parasiten ab, die sich auf der Haut festgesetzt hatten.
Minuten lang schnurrte T'cha wohlig auf und genoss die Entspannung sichtlich. Dann stieß sie ihren Kopf unwillig vor und fuhr mit der rechten Vorderpranke zur Seite.
[Mmmh, lass gut sein!], beendete sie ihre Muße. Sie legte sich kurz auf den Rücken, wand sich in der trockenen Erde und legte sich danach auf den Bauch. Dabei achtete sie darauf, ihre verletzte Schulter nicht allzu sehr zu belasten. Die Schusswunde verheilte besser als gedacht. Gut einen Schritt von ihr entfernt kauerte Talon und fuhr mit den Fingern der rechten Hand rastlos durch den Staub.
T'cha stupste ihn leicht an. Talon zuckte ein wenig zusammen und lehnte sich gegen den zerfallenen Rest eines Baumstammes. Die Löwin schmiegte ihren schweren Kopf an seine Seite.
[Du bist abwesend, seitdem wir auf die Menschen gestoßen sind] , bemerkte sie . [Ich habe dich in den letzten Tagen nicht gesehen.]
Talon vermied es, in die Augen zu blicken, die ihn intensiv musterten. Zurückhaltend drehte er den Kopf zur Seite. Auf seiner Brust lastete ein unerklärlicher Druck.
»Mir ist mehr aus meiner Vergangenheit bewusst geworden. Doch nichts, was ich wirklich verstehen kann. Es sind Bilder und Namen. Sie ergeben aber keinen Sinn für mich.«
Das Atmen fiel ihm schwer. Er stand auf und machte ein, zwei Schritte, um etwas Luft schöpfen zu können.
»Ein Teil von mir«, fuhr er fort, »- sie gaben mir ein Mittel, und … – alles war anders.«
Sein Blick senkte sich zu Boden. Wirre Eindrücke brachen hervor. Talon schüttelte den Kopf. Hilflos ballte er die Fäuste und schwieg. Lange Augenblicke vergingen, in denen keiner von beiden redete.
»Es hat nicht gutgetan, das zu sehen«, löste es sich schließlich von seinen Lippen. »Da sind Menschen, die mich kennen. Und ich muss damit rechnen, dass sie wieder nach mir suchen.«
T'cha hob den Kopf an. Ihre Nasenflügel blähten sich leicht auf.
[Vielleicht sind sie deine Familie – und sie suchen nur ihren verloren Sohn?]
»Nein, T'cha! Sie suchen ein verlorenes Stück Beute …«
Die Löwin erhob sich und streckte sich durch. Einen Moment lang sondierte sie die nähere Umgebung und richtete dann ihren Blick auf Talon.
[Du gehörst nicht wirklich zu uns. Das weißt du. N'che duldet dich nur in unserem Revier, weil ich zu dir stehe] , erklärte sie ihm. [Deine Wurzeln liegen woanders.] Sie knurrte kurz und machte einen Schritt nach vorne.
[Das Rudel verlangt schon lange, dass ich dich von mir entbinde. Viele stehen dir misstrauisch gegenüber. Sie werden niemals bereit sein, dich zu akzeptieren, so sehr auch ein Teil von dir unbestreitbar zu uns gehört.]
»Und was hast du ihnen geantwortet?«, richtete er sich an die Raubkatze, ohne ihr in die Augen blicken zu wollen.
[Dass du mein gewählter Sohn bist. Frei, zu gehen, wann immer du willst – aber immer gerne gesehen an meiner Seite.]
Talon unterdrückte das Brennen in seinen Augen und ging vor der Löwin in die Knie. Er umarmte sie an der Schulter und drückte sich fest gegen ihre Flanke.
»T'cha, du bist eine alte Füchsin!«, lachte er auf und gab ihr einen leichten Kuss auf das raue Fell. Zur Antwort schmiegte sie ihren Kopf an seine Seite und genoss die Zuneigung, die er ihr nach all den Monaten immer noch entgegenbrachte.
Plötzlich jedoch ruckte ihr Kopf hoch und sie löste sich mit aller Kraft aus seiner Umarmung. Ihr Blick richtete sich weit in die Ferne. Lauernd zuckten die Barthaare, als nähmen sie eine Witterung auf. Unruhe überfiel den Körper der alten Löwin. Talon taumelte überrascht nach hinten und sah sie verwirrt an.
»Was hast du?«, brachte er hervor.
Sie löste sich nicht aus ihrer wachsamen Starre. Ihre Augen
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