Dunkles Erwachen
müde!«
Beruhigend legte ihm ein Freund den Arm auf die Schulter und wollte ihn zurück in den Schatten ziehen.
»Mahmud, lass doch …«, setzte er an, doch sein Freund war nicht bereit, sich so einfach zu beruhigen. Er trat mit dem Fuß gegen eine leere Farbbüchse und hörte nicht auf zu schimpfen.
Ungerührt erhob sich der Schwarze und betrachtete die beiden Männer.
Ein abfälliges Grinsen umspielte die Lippen seines fein geschnittenen Gesichts. Gutturale Laute, deren Klang nur er selbst vernahm, lösten sich aus seiner Kehle. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und lief in breiten Bächen über seine glänzende Haut.
Sein rechter Arm stieß vor und schwang durch die Luft. Um die Fingerspitzen sammelten sich kleine Lichtpunkte, die seine prankenförmige Hand in weiten Kurven umtanzten. Die Lichter wurden wilder in ihren Bewegungen und nahmen eine bedrohliche Farbe an. Ein tiefroter Schein, der langsam pulsierte, umgab die Gliedmaßen.
Von einem Augenblick auf den anderen schoss das Licht vor und explodierte zwischen den beiden Arabern, die fassungslos dem Schauspiel zugesehen hatten. Ihre ungehörten Todesschreie verklangen im letzten verwehenden Ruf der Muezzins weit in der Ferne. Zurück blieb nicht mehr als rauchende Asche, die sich an der kahlen Betonwand festgebrannt hatte.
Der Hüne betrachtete seine Hand. Seine Augen flackerten wild. Ungläubiges Erstaunen und tiefe Befriedigung spiegelten sich in ihnen wider. Seine Nasenflügel bebten. Heiser stieß er die Luft in seinen Lungen aus und legte den Kopf zurück.
»Er ist zurück!«, stieß er kehlig hervor. »Er wagt es … Doch dieses Mal werde ich bereit sein!«
Stunden und Tage folgte Talon der lautlosen Stimme in seinem Kopf.
Sie war fordernd, unnachgiebig und zog ihn mit sich. Die weite Savanne war einem kargen, unwirklichen Ruinenfeld gewichen, das sich über Dutzende von Kilometern erstreckte. Skelettartig ragten in regelmäßigen Abständen Streben in einem scharfen Winkel mehr als zehn Meter hoch in die Luft und trotzten allen Gesetzen der Statik. Zahlreiche Risse durchzogen wie ein feines Gespinst den marmorartigen Stein, der in allen Nuancen zwischen tiefbraun und ockergelb lebendig schimmerte.
Zwischen den Streben erhoben sich längst zerfallene Überreste breiter Säulen, bedeckt von einer feinen Staubschicht, die in Schleiern durch den Wind davongetragen wurde.
Teilnahmslos bekam er mit, wie sich Rudel um Rudel von Löwen in den Pfad einreihte und mit ihm den Weg teilte. In einem endlosen Strom folgten sie der befehlenden Stimme durch die lange zerfallenen Ruinen.
Etwas in Talon regte sich. Schwach nur, wie ein vergessener Gedanke. Doch dann nahm es an Intensität zu, durchbrach die Mauer der fern rufenden Stimme. Widerstand erwachte in ihm, der mit jedem Augenblick stärker wurde.
Er erinnerte sich an früher, als andere Stimmen ihn getrieben hatten.
Stimmen, zu denen Gesichter vor seinem inneren Auge tanzten. Ihnen hatte er widerstanden. Auch ihre Herrschaft hatte er gebrochen. Längst war er stehen geblieben und ließ die Löwen an sich vorbeiziehen.
Er wusste, dass er kämpfen musste, wollte er sich nicht wieder verlieren.
Der Atem brannte in seiner Brust. Lichtreflexe umschwirrten ihn mit schmerzhafter Helligkeit. Die Schleier seiner Gedanken brodelten in einem Feuer qualvoller Glut.
Heiß.
Wie Magma drangen sie in seine Seele ein und erfüllten jede Faser seines Selbst.
Schwarz.
Talons Sinne schwanden in einem Strudel, der sich tief in der Unendlichkeit verlor.
Leer.
Kapitel 2
Janet Verhooven gähnte ausgiebig.
Sie streckte ihren schlanken Körper durch und wartete, bis sich die Spannung in ihren Armen löste. Seit geschlagenen drei Stunden verbrachte sie die Zeit damit, zu sitzen und zu warten. Sie hatte im Schatten eines der gewaltigen Steinpfeiler Platz genommen, die die ausgedörrte Hochebene in gerader Linie durchzogen.
Trotz der Höhe, auf der sie sich befanden, wehte kein Wind. Die Luft hing heiß und schwer über der Landschaft und machte das Atmen zur Qual. Die junge Frau schwitzte in ihrer dünnen Leinenkleidung, die an ihrem Körper klebte. Ihr kurzes, blondes Haar hing in dunklen Strähnen herab.
Janet schützte ihre Augen mit der rechten Hand vor der Sonne und blinzelte in den Himmel. Das verwaschene, milchige Grau erstreckte sich in einem fahlen Ton bis zum Horizont. Es schien fast so, als seien die Farben aus der Umgebung verschwunden.
Sie ging ein paar Schritte, um ihre
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