Dunkles Erwachen
auf den Boden und blieb regungslos liegen. Blut lief aus zahlreichen Wunden und versickerte zwischen den trockenen Grashalmen in der Savanne.
Geschwächt reinigte Talon sein Messer und steckte es in die Scheide. Eine unendliche Schwere machte sich in seinem Körper breit. Von Trauer erfüllt schüttelte er den Kopf, als er den toten Löwen betrachtete.
»Vergib mir, Bruder«, murmelte er rau. »Doch ich kann nicht umkehren.«
Aus dem Augenwinkel nahm er die drei Menschen wahr, die sich nur langsam dem Schauplatz näherten. Sie standen so eng zusammen, als hofften sie, die Nähe böte ihnen zusätzlichen Schutz. Talon nahm es trotz seiner Mattheit fast amüsiert zur Kenntnis.
»Lasst uns weitergehen«, eröffnete er ihnen.
Entsetzt hob Alice die Hände und machte einen Schritt auf ihn zu.
»Aber – gute Güte! Ihre Wunden!« Sie schnallte sich ihren Rucksack ab und kramte zwischen den Utensilien nach Verbandsmaterial.
»Die Wunden werden sich schließen«, antwortete er ihr nur kurz. »Ich habe gerade getötet. Diese Wunde klafft tiefer in mir.« Talon ging in die Knie und legte die Hand auf die blutüberströmte Flanke des Löwen.
Eugène Mauris trat zu ihm hin und lachte rau auf.
»Sind Sie immer so mitfühlend?«, fragte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das Biest hat uns schließlich angefallen! Was hätten Sie denn sonst tun sollen?«
In Talons Augen glomm unterdrückter Hass gegen den fremden Mann auf. Er betrachtete den Belgier lange Augenblicke, bis dieser sich unbehaglich in dem Blick wand. Talon ballte die Hände zur Faust.
»Er war eine Wache und wollte nur, dass wir umkehren.« Seine breite Brust hob und senkte sich unter den hastigen Atemzügen, mit denen er seine Gefühle in den Griff zu bekommen versuchte. »Ich war es, der ihn herausgefordert hat!«
In seine Gedanken versunken, blickte Talon zum Dschungel hinüber. Aus dem undurchdringlich erscheinenden Gespinst aus Blättern, Lianen und Ästen schälte sich eine weit entfernte Stimme, die sich unerbittlich in seine Gedanken grub.
»Deshalb müssen wir weiter«, fuhr er fort. Sein Blick ging zu den drei Menschen, die sich alle nicht sicher waren, wie sie ihm begegnen sollten. Er spürte die Distanz, die zwischen ihnen lag.
»Andere werden ihn finden«, erklärte er mit einem Fingerzeig auf den toten Löwen, »und dann will ich nicht mehr hier sein!«
Alice Struuten hatte unbeirrt in dem Verbandset herumgewühlt und forderte Talon auf, sich endlich auszuruhen. Er sah kurz in die Augen der jungen Frau und nahm dann bereitwillig auf einem der Mauerreste Platz. Die Fotografin zerdrückte einige entsetzte Ausrufe zwischen ihren Lippen, als sie die Wunden genauer betrachten konnte. Trotzdem musste sie überrascht zugestehen, dass keine von ihnen genäht werden musste. Es schien fast so, als begännen die Verletzungen jetzt schon zu verheilen. Dennoch desinfizierte sie die größeren Wunden vorsorglich.
»Wissen Sie eigentlich, wohin Sie gehen?«, fragte sie Talon, als sie ihre Arbeit beendet hatte und die Verbandssachen wieder in ihrem Rucksack verstaute.
Er nickte ihr dankend für ihre Hilfe zu und begann seinen Weg in den Dschungel.
»Nein«, antwortete er dann mit einem müden Lächeln. Janet Verhooven und Eugène Mauris warfen sich einen schnellen bedeutungsvollen Blick zu und schüttelten ihre Köpfe. Mit einem leisen Seufzen folgten sie dem Mann, der zwischen den gewaltigen Stämmen im Dschungel verschwand.
Die Pflanzen schienen auf fremdartige Weise mit den zerfallenen Überresten der gewaltigen Bauten aus hellem Stein verwachsen zu sein. Marmorne Streben schoben sich aus den überwucherten dunklen Stämmen der hoch aufragenden Bäume. Pflanzen wuchsen einem Relief gleich aus lange verwitterten Säulen, das Grün ihrer Blätter durchwebt von den feinen Maserungen des Steins. Kein Geräusch erfüllte die Szenerie. Selbst der Wind schien an den fremden Strukturen zu zerfasern.
Bis in den frühen Abend hinein suchte sich die Gruppe einen Weg durch das unwegsame Holz. Talon trieb die anderen unermüdlich an. Sein Blick war wie versteinert nach vorne gerichtet. Das schwache Licht der Taschenlampen schnitt sich mit schmalen Kegeln einen Weg durch die Umgebung, die sie in unergründlicher Dämmerung umgab. Dann jedoch gab Janet Verhooven dem hochgewachsenen Mann ein Zeichen.
»Talon, können wir anhalten?«, entfuhr es ihr entkräftet. »Ich kann nicht mehr.« Sie hatte die Hände in die Seite gestützt und sah den Mann aus
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