Dunkles Erwachen
Aufforderung.
Unwillig warf Talon einen Blick zurück und schüttelte dann den Kopf.
[Ich muss hier durch!], beharrte er.
Der Löwe knurrte den Menschen ungeduldig an. Sein massiver Kopf ruckte nach vorne und taxierte Talons Augen.
[Dies ist Shions Reich. Ich dachte, die Wächter hätten euch mit ihren Langkrallen deutlich gemacht, dass der Dschungel in dieser Zeit für euch tabu ist.] Die dunklen Augen blitzten bedrohlich im schwindenden Sonnenlicht. [Kehr um, bevor ich nicht mehr gewillt bin, dir zuzuhören!]
Talon konnte deutlich sehen, wie sich die Muskeln des Löwen unter der Haut anspannten. Die Raubkatze war nicht mehr bereit, eine weitere Warnung auszusprechen und setzte zum Sprung an. Um gegen den Angriff gewappnet zu sein, verlagerte Talon sein Gewicht und schob das linke Bein zurück. Er scharrte mit der Ferse eine kleine Kuhle, um einen besseren Halt zu finden. Dann breitete er die Arme aus und beugte den Oberkörper vor. Sein Atem ging hastig.
[Dann musst du mich mit Gewalt aufhalten!], entgegnete er und knurrte den Löwen an.
Die Antwort erfolgte in einem lauten Brüllen. Aus dem Stand sprang die Raubkatze von ihrer erhöhten Stellung auf Talon zu. In dem aufgerissenen Maul leuchteten die scharfen gebleckten Zähne auf. Heißer Atem schlug dem Mann der Savanne entgegen.
Der Aufprall warf ihn fast von den Beinen. Er hatte die Arme nach oben gerissen und den schweren Kopf des Raubtieres gepackt. Immer wieder stießen dessen Zähne gegen seine Unterarme und schnitten kleine Wunden in die Haut.
Der Löwe warf den Kopf hin und her und versuchte, sich aus der Umklammerung zu lösen. Seine Pranken zuckten vor und stießen jedes Mal ins Leere. Voller Wut brüllte das Tier auf und verstärkte seinen Angriff.
Talons heiseres Brüllen vermischte sich mit dem Grollen des Löwen. Er konnte sich den Attacken nur mit aller Kraft erwehren. Die Sehnen traten dick an seinen Unterarmen hervor. Nach wie vor ließ er den Kopf des Löwen nicht los und zwang das schwere Tier dazu, auf seinen Hinterpfoten zu tänzeln, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Doch alleine die Masse des Löwen setzte Talon schwer zu. Er konnte sich kaum bewegen, wenn die Raubkatze mit ihren Tatzen nach ihm schlug.
Ein schwerer Hieb erwischte ihn an der rechten Seite. Blutige Striemen zeichneten die Spur der Krallen nach. Talon spürte, dass er den Löwen nicht mehr lange auf Distanz halten konnte. Er musste selbst in die Offensive gehen, wollte er eine Chance gegen die Überlegenheit des Raubtiers haben. Die Muskeln in seinen Beinen schmerzten unerträglich. Trotzdem zog er das linke Bein vor und hieb es in den ausgedörrten Boden. Talon schob sich nach vorne und drückte gleichzeitig den gewaltigen Körper seines Gegners zur Seite.
Überrascht taumelte der Löwe zurück und stürzte. Doch sofort kam er wieder auf alle viere. Talon nutzte die gewonnene Sekunde und riss sein Messer aus dem Gürtel. Den nächsten Angriff des Löwen fing er nur mit dem linken Unterarm ab. Durch die offene Deckung hieben die Krallen mehrere Wunden in Brust und Schultern des hochgewachsenen Mannes.
Talon nahm die Schmerzen nicht mehr wahr. Seine Gedanken richteten sich auf die Klinge in seiner Hand, die in den Körper des Löwen stach. Er zog das Kampfmesser durch und riss damit lange, klaffende Wunden in das Fleisch. Das Fell färbte sich nun schnell rot.
Im Hintergrund hielten sich seine drei Begleiter zurück und sahen dem Kampf entsetzt zu. Alice Struuten packte Eugène bei den Schultern und forderte ihn auf, Talon beizustehen. Dieser löste sich hastig aus ihrem Griff und lachte trocken auf.
»Bin ich verrückt? Ich werde mich da nicht einmischen!«
Er hatte schon die ganze Zeit seinen 38er Revolver in der schweißbedeckten Hand, um einen Schuss auf den Löwen abzugeben. Doch die beiden Kontrahenten bewegten sich mit solch einer Schnelligkeit, dass Eugène Mauris keine freie Schussbahn fand.
Der Atem brannte heiß in Talons schmerzenden Lungen. Blut aus einer tiefen Stirnwunde lief ihm in die Augen und behinderte seine Sicht. Er folgte fast nur noch seinen Instinkten, wenn er die Angriffe des Löwen abwehrte. Tausendfach eingeübte Bewegungen und Reflexe, von denen er nicht wusste, woher er sie hatte, übernahmen die Kontrolle in seinem Körper.
Langsam spürte er, wie die Attacken und Hiebe der Raubkatze schwächer wurden. Umso heftiger setzte er nach, um aus diesem Kampf als Sieger hervorzugehen. Und endlich sackte der massige Körper vor ihm
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