Dunkles Erwachen
müden Augen an, der nur unwillig in seinem Schritt innehielt. Die junge Frau keuchte heftig. Sie stützte sich auf den Ast, den Talon ihr als Stock zurechtgeschnitzt hatte. Schweiß hatte ihr khakifarbenes Hemd schon lange durchtränkt und zeichnete die Konturen ihres Körpers für jeden sichtbar ab. Neben ihr ließ sich Alice auf alle viere fallen und sank erschöpft in das feuchte Moos.
»Ich auch nicht«, stimmte sie der Teamleiterin atemlos zu. Die beiden Frauen warteten auf eine Antwort des Mannes, der sie nur schweigsam musterte. Auch Eugène war die Erschöpfung anzusehen, doch er hielt sich zurück und betrachtete beide Parteien aufmerksam.
Endlich nickte Talon. Er warf einen kurzen Blick in den Himmel, der zwischen den Baumkronen unergründlich verborgen lag.
»Gut«, erwiderte er. »Es hat sowieso keinen Sinn mehr, weiterzuziehen. Es wird dunkel.«
Die anderen drei ließen ihr Gepäck ohne weitere Aufforderung auf den Boden fallen und schlugen ein kleines Lager auf. Talon beobachtete die Szene nur kurz, dann zog er sich an einer armdicken Liane hoch in einen der Bäume. Binnen weniger Augenblicke hatte er mehr als zehn Meter überwunden und war als Schemen nur noch undeutlich zwischen den Blättern zu erkennen.
Janet sah ihm ungläubig nach. »Wohin gehen Sie?«, rief sie ihm zu und hoffte, dass er sie überhaupt noch hörte. Talon drehte sich um und musterte die blonde Frau aufmerksam. Sie merkte, dass seine Augen länger auf ihr verharrten als nötig.
»Ich sehe mich um«, kam die kurze Antwort. »Was Sie auch tun, machen Sie kein Feuer!« Er schwang sich weiter nach oben und verwuchs mit den Schatten der Bäume, die ihn schließlich verschlangen. Janet blickte ihm nach. Zumindest sah sie dorthin, wo sie ihn vermutete. Die Bäume um sie herum schienen immer weiter anzuwachsen und sie langsam zu erdrücken.
»Ich komme zurück«, hörte sie plötzlich Talons Stimme aus der grünen Wand. Sie belächelte sich selbst, als sie spürte, wie sehr sie die Worte beruhigten. Kopfschüttelnd öffnete sie ihren Rucksack und zog ein kleines Handtuch hervor, um sich wenigstens den groben Schmutz und Schweiß abzuwischen.
Alice Struuten kam zu ihr herüber, einen Fuß vorsichtig vor den anderen setzend. So wenig sie für die brünette Frau übrighatte, so sehr war sie im Augenblick für ihre Gesellschaft dankbar. Sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und sah nach oben, dorthin, wo Talon vor wenigen Momenten verschwunden war.
»Brrr, ich weiß nicht!« Die Augen der Fotografin waren von Unsicherheit erfüllt. »Manchmal ist er mir unheimlich.«
Janet atmete hörbar auf, als sie ihre Katzenwäsche abgeschlossen und das Handtuch verstaut hatte. Sie warf der Fotografin einen verständnisvollen Blick zu.
»Wollen Sie sich waschen?«, fragte Alice mit einem Mal. »Eugène hat da hinten einen Bachlauf entdeckt, dessen Wasser sogar ziemlich sauber ist. Trinken würde ich es nie, aber ich habe es gerade echt genossen, mich zu erfrischen.«
Janet merkte, wie sie bei dem Gedanken an frisches Wasser munterer wurde. »Danke für den Tipp, Alice. Das mache ich gleich, solange ich noch was sehe. Vor allem wird es meinem Knöchel guttun.«
Sie hob den Rucksack auf und drehte sich zu der jüngeren Frau um.
»Sie haben schon recht«, stimmte sie ihr zu. »Mit normalen Maßstäben lässt er sich wirklich nicht messen.«
Alice lief weiterhin nervös auf und ab und hörte nicht auf, nach oben zu starren.
»Wie er den Tod des Löwen kommentiert hat«, fuhr sie gedankenversunken fort. »Als ob es ihm leid täte.«
Sie konnte das Blitzen in Janets Augen nicht erkennen, die in der Bewegung innehielt.
»Wer weiß«, sinnierte die Blondine. »Vielleicht ist er bei Menschen nicht so zimperlich.«
Alice keuchte entsetzt auf. »Das meinen Sie doch nicht im Ernst!«
Janet fühlen in diesem Moment das Raubtier in sich erwachen. Sie nahm bei ihren ›Jobs‹ selbst keine Rücksicht auf Menschen. Solche Gefühle konnte sie sich bei den Aufträgen nicht leisten. Sie dachte zurück an die Akte des Mannes. Er war Special Agent im Feldeinsatz gewesen. Ausgebildet für Missionen, in denen er bereit sein musste, zu töten.
Sie hatte selbst miterlebt, dass er das konnte. Und sie musste sich eingestehen, dass es sie erregt hatte.
Janet ließ sich von Alice den Weg zum Bach zeigen und sah ihr nach, wie die Fotografin zum provisorischen Lager zurückkehrte, das Eugène errichtet hatte. Schon nach ein paar Schritten konnte sie
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