Dunkles Feuer
Chen. Niemand in der Firma stand Steve näher als er. Vielleicht wusste John, wo sich Steve befand. Hastig zog sie ihr privates Telefonbuch aus der Schublade des Nachttisches.
Kurz darauf tippte sie seine Nummer ein.
John Chen war seit drei Tagen nicht mehr in seiner Wohnung gewesen. Er musste unbedingt Zeit gewinnen, bis Steve sich bei ihm meldete und ihm sagte, wie er sich verhalten sollte.
Er war auf der Flucht. Auf der Flucht vor einem alten Feind. Dao Npei.
John machte sich keine Illusionen darüber, dass Dao ihn vielleicht nicht aufspüren würde. Früher oder später würde er sich ihm stellen müssen.
Er fürchtete sich davor. Fürchtete sich so sehr, dass allein bei dem Gedanken seine Beine zu zittern begannen und ihm übel wurde.
Er ging die Treppe in die Hotelhalle hinunter und bezahlte beim Portier seine Rechnung. Es war das dritte Hotel in drei Tagen. Jeden Tag wechselte er seinen Standort. Die meiste Zeit des Tages hielt er sich in seinem Zimmer auf, die Vorhänge zugezogen, auf dem Bett liegend und an seine Familie in China denkend.
Konnte er sie retten?
Er wusste es nicht. Wenn Steve ihm nicht half und ihm das Programm gab, würde wohl keine Hoffnung darauf bestehen, dass er sie jemals wieder sehen würde.
Der Übernachtungspreis betrug 87 Dollar. John musste seine Kreditkarte benutzen, da er nicht mehr ausreichend Bargeld besaß. Der Mann hinter dem Tresen lächelte ihn freundlich an, aber John erwiderte das Lächeln nicht. Mit einem schweigenden Nicken verabschiedete er sich und ging auf die Straße hinaus.
Es war Abend, die Luft kühl, mit einem Hauch von Blumenduft darin, der den Gestank der Autoabgase überlagerte.
John wandte sich nach links, um nach einem freien Taxi Ausschau zu halten, als sein Handy klingelte.
Eine übernatürliche Wut hatte Richards moralische Bedenken gegen Steves Ermordung weggespült. Inzwischen herrschte der Zorn über seine Gedanken.
Das Geld! Er wollte das Geld. Er hatte ein Recht darauf und es war nicht richtig, dass Steve über sein Leben und seine Zukunft entschied, ihm verweigerte, was ihm zustand. Er war gewillt, ihn zu töten. Mit eigenen Händen, wenn es sein musste.
Dumpf brütend saß er auf einem der Sessel und starrte ins Nichts, als ihm auffiel, dass am Telefonapparat das Blinklicht aufleuchtete und anzeigte, dass am Nebenapparat gesprochen wurde. Neugierig hob er den Hörer ab.
„Ich muss unbedingt wissen, wo Steve ist! Bitte!“, hörte er die erregte Stimme seiner Frau. Es kam keine Antwort. Nur ein leises Atmen war zu hören.
Mit wem spricht Liz? Und warum will sie wissen, wo Steve ist?
„John! Bitte! Steve ist in Gefahr. Ich muss ihn warnen!“
John? John Chen! Natürlich, wenn jemand weiß, wo sich Steve versteckt hält, dann er.
„Ich weiß, dass er in Gefahr ist“, entgegnete Chen.
Eve flehte ihn an, ihr zu sagen, wo sich Steve aufhielt.
„Also gut, Eve“, sagte John. „Er ist in der alten Jagdhütte seines Vaters in der Chesapeake Bay.“
Nebenan jubelte Richard stumm auf. Endlich! Endlich wusste er, wo Steve war.
In ihrer Sorge um Steve hatte Eve jede Vorsicht außer Acht gelassen und nicht daran gedacht, das Richard das Gespräch vielleicht mithören würde.
Ihre Gedanken jagten sich. Eve kannte die Bay von früher aus ihrer Studienzeit. Dort gab es weit und breit kein Telefon. Wie sollte sie ihn erreichen?
„John, ich muss dich jetzt um deine Hilfe bitten. Kannst du zur Hütte rausfahren und Steve sagen, er soll mich anrufen? Es ist wirklich wichtig.“
„Zur Hütte fahren?“
„Ja. Weißt du, wo sie ist?“
„Ich war ein Mal mit Steve zum Angeln dort, und das, obwohl ich Fische hasse. Ja, ich denke, ich kenne den Weg noch.“
„Dann tue es bitte.“
Chen überlegte. „Okay, ich fahre hin, aber willst du mir nicht sagen, was genau los ist?“
„Nein, John. Bitte sei mir nicht böse und vertraue mir einfach.“
In letzter Zeit hörte er diesen Satz oft. Jeder verlangte von ihm, dass er ihm vertrauen solle, aber konnte er diesen Menschen wirklich vertrauen? Letztlich hatte er keine Wahl. Ohne die Hilfe anderer würde er seine Mutter und seine Schwester nie wieder sehen.
John verabschiedete sich und Eve legte jetzt etwas beruhigt den Hörer auf. Im Wohnzimmer lächelte Richard. Er selber hatte zwar keine Ahnung, wo die Hütte lag und die Bay war groß, riesengroß, aber er kannte jemanden, der ihm bestimmt erklären konnte, wie man dort hinfand.
Zwei Stockwerke tiefer, in einem alten Heizungsraum,
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