Dunkles Feuer
mit ihren Reizen einzufangen.« Die beiden lachten vergnügt, was Peter einen Schubs in die Seite und Daniel einen schmollenden Blick einbrachte.
»Übrigens, Daniel, jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, dein Versprechen einzulösen und uns eine oder zwei Geschichten über das Schloss zu erzählen.«
»Wenn es euch interessiert, gern. Was für eine Überlieferung" - zu Julie gewandt - "so heißt es nämlich, wollt ihr denn hören?«
»Ich weiß nicht, du bist der Experte, uns ist alles recht, oder hast du bestimmte Wünsche, Julie?«
»Na ja, sie sollte unterhaltsam sein, vielleicht amüsant und ein wenig tragisch. Die alten Überlieferungen sind doch alle tragisch oder düster, sie sollen den Zuhörer schließlich vor Angst oder Mitgefühl erschauern lassen.«
»Sei mir nicht böse, Julie, aber da bist du im Irrtum ...« fing Daniel an.
»Ach ...?« Julie musterte ihn herausfordernd.
»Viele Erzählungen sind einfach nur mysteriös, basieren jedoch auf amüsanten Begebenheiten. Da fällt mir zum Beispiel eine ein, die dich bestimmt davon überzeugen könnte. Sie enthält keine Spur von Schwermut oder Dramatik und ist trotzdem über zwei Jahrhunderte überliefert worden.«
»Vielleicht wurde in all der Zeit einfach immer mehr weggelassen und dazu gedichtet, sodass am Ende eine Erzählung entstanden war, die zwar das Thema, jedoch nicht die tatsächlichen Ereignisse wiedergibt?«
Daniel seufzte resigniert und wendete sich Hilfe suchend an Peter. Doch der zuckte nur die Schultern.
»Hör mal, Julie, wieso hörst du dir nicht einfach die Geschichte an, ohne dir schon vorher ein Urteil darüber zu fällen?« machte Daniel noch einen Versuch.
»Am besten, du denkst überhaupt nicht darüber nach, sondern genießt einfach die Erzählung, ohne ihre philosophischethische Struktur zu analysieren oder alles andere zu tun, das du in deinen Seminaren sonst so gelernt hast«, schlug Peter vor.
»Aber ...« Julie wollte eigentlich nur aus Trotz widersprechen und hatte nicht mit der heftigen Reaktion der beiden Männer gerechnet.
»Hör einfach nur zu!« entfuhr es den beiden wie aus einem Mund, ehe sie weitersprechen konnte.
»Schon gut, schon gut, kein Grund, gleich so zu schreien.« Julies Lächeln strafte ihren beleidigten Ton Lügen, sie lehnte sich genüsslich zurück und gab zu verstehen, dass sie durchaus bereit war, die Geschichte zu genießen. Doch das kleine schelmische Glitzern in ihren Augen deutete an, dass sie nichtsdestoweniger nicht bereit war, die Diskussion aufzugeben.
Daniel nahm einen Schluck Wein und räusperte sich.
Er war ein erfahrener und guter Erzähler, der den Zuhörer zu fesseln vermochte. Er hatte die seltene Gabe, allein durch die Kraft seiner Stimme die Worte für den Zuhörer beinahe sichtbar zu machen.
»Etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts war das Schloss im Besitz eines gewissen William of Lerouge, dem Nachkommen eines alten Normannengeschlechts. Zu der Zeit war das hier eine der blühendsten Gegenden, die Bevölkerung war wohlhabend, und der Grundherr besaß großes Ansehen. Williams Beliebtheit unter dem Adel war eher auf seinen Einfluss und Reichtum als auf seine einnehmende Persönlichkeit zurückzuführen.
Eine Einladung, einige Wochen auf dem Schloss zu verbringen, wo vor allem die Männer wegen der wildreichen Wälder auf ihre Kosten kamen, war sehr begehrt. Doch waren diese Einladungen sehr schwer zu bekommen, da William mit zunehmendem Alter, er hatte schon fast die 50 erreicht, immer verdrießlicher wurde. Sein, auch schon in seiner Jugend geiziger, egoistischer Charakter spitzte sich immer mehr zu. Das lag zum Teil daran, dass lange Zeit keine Frau da war, um seine Mängel auszubessern und die Unregelmäßigkeiten seines Charakters zu verwischen. Erst in dem fortgeschrittenen Alter von fast 50 Jahren nahm er sich eine Gemahlin, wobei seine Wahl mehr von dem Bedürfnis, einen Erben zu bekommen, als von irgendeiner Gefühlsregung bestimmt wurde.
Dieses Eheverhältnis änderte sich jedoch schon kurz nach der Trauung. Die Leute sagen, dass diese Änderung schon während der Feier sichtbar wurde. Hatte er seine Frau zu Anfang fast gänzlich ignoriert, und nur ihre guten Eigenschaften als die Mutter seines Erben erwähnt, so ließ er sie nach der eigentlichen Trauzeremonie nicht mehr aus den Augen und achtete sorgfältig darauf, mit wem sie sich unterhielt und ob ein junger Mann nicht zu lange in ihrer Gegenwart verweilte. In den ersten Ehewochen entwickelte er eine an Besessenheit
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