Dunkles Feuer
entsprang nicht ausschließlich seinem Wunsch, Zeit zu sparen. Er hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass Hilfe im Haushalt viel Eindruck auf Frauen machte.
»Ist schon gut, wir räumen später ab«, verpasste Julie seinen Bemühungen einen Dämpfer. »Es würde ohnehin zu lange dauern, es sei denn, du brennst nur so darauf, zum Brunnen zu laufen, Wasser zu holen und anschließend mit kaltem Wasser abzuspülen.«
Daniel setzte eine entsetzte Miene auf, die gar nicht so gespielt war.
»Wie, nicht einmal eine Wasserleitung?!«
»Und damit ist es wieder einmal bewiesen worden: die Androhung von tatsächlicher Arbeit vertreibt alle männlichen Helfer«, stichelte Julie. »Aber eines weiß ich jetzt, ich werde mich nie wieder über den ‚Fluch der Zivilisation' beschweren.« Sie stand auf. »Also, wenn die Herren nun so weit sind; ich bin bereit, zur Kirche zu gehen.«
Es war für Julie ganz natürlich, dass sie an Daniels Seite die Burg verließ. Auch wenn es Peter störte, zeigte er es nicht, er stellte sich einfach an ihre andere Seite und bot ihr ebenfalls den Arm. Damit war die Situation zur Zufriedenheit aller geregelt, als sie fröhlich zum Dorf schritten.
Bei ihrem Erscheinen war die Kirche bereits gut gefüllt, der Gottesdienst hatte jedoch noch nicht angefangen. Die Leute blickten sich nach den beiden neuen Gesichtern um, die den meisten noch nicht bekannt waren, auch wenn ihre Anwesenheit seit einer Woche den Gesprächsstoff lieferte. Die Leute grüßten Julie und Peter höflich und Daniel freundschaftlich, er schien unter der Bevölkerung ziemlich beliebt zu sein. Besonders bei dem weiblichen Teil, wie Julie sofort feststellte. Julie hätte es auch überrascht, wenn es anders gewesen wäre. Trotzdem konnte sie nichts entdecken, was auf intimere Bekanntschaft mit einer der jungen Frauen hinweisen würde.
Allem Anschein nach sahen es die Leute gern, dass Julie und Peter zur Kirche kamen. Für die Bevölkerung war es die Bestätigung dafür, dass der Ersteindruck nicht getäuscht hatte und dass Julie und Peter wirklich nette Menschen waren.
Julie, Peter und Daniel setzten sich in eine freie Bank, kurze Zeit später erschien der Pastor, und der Gottesdienst begann.
Obwohl Julie nicht sehr religiös war, machte die Predigt großen Eindruck auf sie. Sie fand Ruhe und Geborgenheit in den seit ihrer Kindheit halb vergessenen Formeln des Gottesdienstes, die sie jetzt zusammen mit allen anderen murmelte.
Am meisten berührte sie aber der Predigtspruch für diesen Sonntag. Diese Empfindung war jedoch seltsam verstörend.
Der Pastor hatte seine Predigt auf Jesaja 43,1 bezogen: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein."
Aus irgendeinem Grund beunruhigte dieser Spruch Julie zutiefst, da er so endgültig und verheißungsvoll klang. Als sie der ruhigen Stimme des Pastors zuhörte, drehten sich ihre Gedanken ausschließlich um diesen Text, und sie fühlte sich wie hypnotisiert. Auf einmal gewannen diese vertrauten Worte, die Hoffnung und Trost spenden sollten, eine völlig andere Bedeutung für sie.
Und in diesem Zusammenhang wirkten sie alles andere als beruhigend.
Julie war es sogar, als hörte sie irgendwo eine tiefe Stimme ihren Namen flüstern, und sie wusste, dass sie sich dieser Stimme nicht entziehen konnte. »Du bist mein«, flüsterte sie. Julie kam die Stimme merkwürdig vertraut vor, als hätte sie sie schon früher im Laufe dieser Woche ihren Namen immer wieder mal zärtlich, mal fordernd flüstern gehört. Und jetzt wusste sie nicht mehr zwischen Wirklichkeit, Erinnerung und Einbildung zu unterscheiden: hatte sie die Stimme tatsächlich gehört? Und wenn ja, wo und wie? Ertönte sie nun wirklich wieder oder nur in ihrer Erinnerung, die durch diesen verheißungsvollen Satz ausgelöst wurde? Und war diese Stimme überhaupt real oder nur eine Ausgeburt ihrer Fantasie?
Julie hatte keine Antwort auf diese Fragen, die sich ihr so unerwartet gestellt hatten. Sie war sich nicht einmal darüber im Klaren, welche Antwort sie sich wünschte.
Nein, das stimmte nicht ganz. Sie wünschte sich, dass diese Stimme wirklich existierte, nicht nur, weil dann ihre geistige Gesundheit nicht in Frage stünde, sondern auch, weil in dieser Stimme so viel Sehnsucht und Verlockung mitschwang, dass sie in sich das aufkeimende Bedürfnis verspürte, diesen Mann kennen zu lernen, der allein durch die Kraft seiner außergewöhnlichen Stimme ihren Namen so aussprach, dass sie dadurch praktisch hypnotisiert wurde.
Dennoch
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