Dunkles Spiel der Leidenschaft
Entfernung feststellen konnte.
»Nein, im Haus selbst ist kein Mensch, aber im
Vorgarten, an einer Stelle, wo wir ihn nicht sehen können, wartet ein Mann. Ich
kann seine Gedanken lesen. Ein anderer steht an der Hintertür. Er pfeift vor
sich hin. Ein dritter Mann raucht gerade eine Zigarette; er steht auf der
anderen Straßenseite, drei Häuser weiter. Wenn du genau hinschaust, kannst du
die Glut der Zigarette sehen, da vorn auf der Veranda.« Dayan lächelte unfroh.
»Er malt sich gerade ein Szenario ganz nach seinem Geschmack aus. Ich fürchte,
ich kann nicht zulassen, dass seine abartigen Träume in Erfüllung gehen.«
»Du kannst aus dieser Entfernung seine Gedanken
lesen?« Corinne glaubte ihm, sie wusste einfach, dass er die Wahrheit sagte.
Ein Teil ihres Denkens bemühte sich, das Puzzle zusammenzusetzen, aber es
fehlten zu viele Teile. Sie vertraute Dayan und wusste im Grunde doch gar
nichts von ihm. Corinne hatte das Gefühl, als wären sie ihr Leben lang zusammen
gewesen, als gehörten sie zusammen, obwohl sie ihn erst vor kurzem kennen
gelernt hatte.
Dayan zuckte die Schultern, ein nachlässiges Regen von
Muskeln und Sehnen. Von Bedrohung. Corinne biss sich nervös auf die Unterlippe.
»Du wirkst immer so ruhig und freundlich, Dayan, und erweckst trotzdem den
Eindruck, sehr gefährlich zu sein. Du kannst ganz schön beängstigend sein,
weißt du das ?« Sie versuchte, ihre Nervosität mit einem Lachen abzutun, doch
sie witterte die Bereitschaft zur Gewalt, die dicht unter der Oberfläche in ihm
schlummerte.
Sein Arm schlang sich fester um ihre schmalen
Schultern und zog sie eng an sich. »Alle Männer sind zu Gewalttätigkeit fähig,
Liebes, wenn ein geliebter Mensch bedroht wird. Karpatianer sind ihrem Wesen
nach Beschützer; diese Eigenschaft besitzen wir von Geburt an. So sind wir
seit Anbeginn aller Zeiten. Deine Sicherheit und dein Wohlergehen stehen für
mich an erster Stelle.«
Warum klang alles, was er sagte, so vernünftig, auch
wenn es das gar nicht war? Lag es an der hypnotischen Kraft seiner Stimme? An
ihrem bemerkenswert schönen Klang? An dem Verlangen und dem Hunger, Dinge, die
er ausstrahlte, wenn er ihr so nahe war? Corinne wusste nur, dass sie sich in
seiner Nähe so fühlte, als hätte sie ihn schon immer gekannt und von jeher zu
ihm gehört. Sie hob eine Hand, um mit den Fingerspitzen zärtlich über sein
Kinn zu streichen. »Ich kann Gegenstände bewegen, indem ich mich auf sie
konzentriere. Ich weiß, ich kann dir helfen.«
Er fing ihre Hand ein und zog ihre Finger an seine
warmen Lippen. »Du besitzt eine große Gabe, meine kleine Liebste, und ich danke
dir für dein Angebot, aber ich möchte sichergehen, dass keine Gefahr besteht,
ehe du aus dem Wagen steigst. Das ist für mich von größter Wichtigkeit.«
Sie musste den Blick von seinen bezwingenden Augen abwenden.
Wenn sie nicht gut Acht gab, könnte sie sich in diesen Augen verlieren und nie
wieder von ihnen loskommen.
Draußen auf der Straße wurde der Wind stärker und
trieb Nebelfetzen vor sich her. Sie stiegen in langen Schleiern vom Asphalt auf
und verdickten sich zu einer dichten Nebelwand, die sich über die gesamte
Straße legte. Der Nebel bewegte sich schnell, als käme er mit dem Wind vom
Meer, und brachte den Geruch von Tang und Salzwasser mit sich. Corinne zwang
sich, ihren Blick von Dayan zu lösen, und starrte auf die Straße. »Schau dir
das an, Dayan! Hast du schon jemals erlebt, dass so schnell so dichter Nebel
aufsteigt?« Irgendwie wirkte es fast beängstigend. Sie wusste, dass sie bei
solchem Wetter unmöglich Auto fahren konnten; man konnte viel zu wenig sehen.
Der Nebel wirkte eigenartig und schien bizarre Formen und Gestalten anzunehmen.
Corinne konnte Geräusche hören, ein unablässiges Raunen von Stimmen in den
Nebelschwaden.
»Du zitterst ja, Corinne. Hab keine Angst vor der
Deckung. Mehr ist es nämlich nicht. Ich kann mich ungefährdet bewegen, ohne
entdeckt zu werden.« Dayan sprach leise wie immer, doch irgendetwas an seiner
beiläufigen Bemerkung wirkte beunruhigend. Als wäre dichter Nebel ein
alltägliches Vorkommnis. Als könnte er über den
Nebel gebieten.
Corinne starrte ihn aus Augen an, die zu groß für ihr
Gesicht zu sein schienen. Fragen standen in ihrem faszinierten Blick, und die
Antworten lagen in dem stetigen Ausdruck in seinen Augen, dem unverwandten
Blick einer großen Raubkatze, eines wilden Tieres, kurz bevor es seine Beute
reißt. Corinne zog sich unwillkürlich ein
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