Duo Infernale
waren, wusste ich nicht, aber darüber zerbrach ich mir nicht den Kopf, denn Jane Collins war wichtiger, und ich ging jetzt davon aus, dass ich den Platz kannte, an dem sie die beiden Schwestern treffen würde...
***
Jane hatte es geschafft!
Endlich, musste man sagen, denn es war eine verdammt lange und mühselige Strecke gewesen, die sie zurückgelegt hatte. Ein paarmal hatte sie gedacht, dass die Stufen überhaupt kein Ende nehmen würden. Immer wenn sie sich in einem viereckigen Innenraum des Turmes bewegen konnte und aus den kleinen Fenstern schaute, dachte sie, das Ziel erreicht zu haben.
Jane wurde enttäuscht, denn in einer Ecke, eingeklemmt zwischen altem Gebälk, gab es eine weitere Treppe.
Aber die Treppen hörten auf, als sie die Spitze erreicht hatte und in ein helles, von Licht durchflutetes Quadrat hineintrat, das mit wesentlich größeren Fenstern bestückt war.
Prunkstück dieses Quadrats war die gewaltige Glocke, die zum Greifen nahe vor Jane hing. Um die Glocke herum führte der Weg, der recht schmal war, denn zwei Menschen mussten schon ihre Körper einziehen, wenn sie sich begegneten.
Aber es gab die großen Fenster, die zur Aussicht einluden. Jane’s Kopf war schon länger wieder frei, und so reagierte sie wie jeder andere Tourist auch.
Sie ging von Fenster zu Fenster und schaute hinaus.
Der Blick über die Stadt war einfach prächtig und kaum zu beschreiben. Aber sie sah nicht nur die zahlreichen Häuser, sondern auch den herrlichen See, dessen Verlauf sie verfolgen konnte, und das bis tief nach Frankreich hinein.
Im Süden schimmerten die schneebedeckten Alpengipfel, im Norden sah sie die Hügel des Jura-Gebirges, das hier am Genfer See auslief, und im Westen konnte sie bis nach Frankreich hineinschauen.
Die Detektivin war von diesen prächtigen Aussichten so sehr gefangen genommen worden, dass sie nicht auf die Umgebung achtete und plötzlich zusammenzuckte, als eine Frauenstimme sie hinter ihrem Rücken ansprach.
»Da bist du ja...«
Etwas Kaltes rann über ihren Rücken hinab, wie von der Eisspitze einer Lanze geführt. Ihr stockte der Atem. Auf einmal waren ihr der Turm und der Ausblick völlig egal, sie hörte nur diese sehr helle Stimme, die sie bereits von der vergangenen Nacht her kannte und auch auf der Terrasse vernommen hatte.
Noch immer sehr steif, drehte sich Jane um.
Vor ihr stand eine blondhaarige Frau. Sie war etwa in ihrem Alter, und obwohl Jane sie zum ersten Mal überhaupt sah, wusste sie, dass diese Blonde eigentlich nur Fiona sein konnte.
Bekleidet war sie mit einem schwarzen, bequem sitzenden Hosenanzug aus Leinen. Das Oberteil wies einen spitzen Ausschnitt auf. Darin sah Jane die Ansätze der Brüste. Das Gesicht der Blonden war glatt, schon puppenhaft, und Jane sah weder auf den Lippen noch in den hellen Augen die Spur eines Lächelns.
Nach einigen Sekunden wurde Jane lockerer. »Ja, ich bin gekommen. Wie ihr es gewünscht und mich gerufen habt.«
»Das ist gut.«
Jane wollte sich vergewissern und fragte deshalb: »Bist du Fiona?«
»Gut geraten.«
Jane zuckte nur mit den Schultern. »Und wo finde ich Florence?«
»Hinter dir!«
Jane wollte es zunächst nicht glauben, aber die Stimme der Blonden hatte so überzeugend geklungen, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich zu drehen.
Es stimmte. Jetzt stand Florence vor ihr, und sie war das glatte Gegenteil ihrer Schwester, obwohl sich beide glichen. Das gleiche Gesicht, die gleiche Figur, nur Waren Florence’s Haare pechschwarz, und sie schaute Jane zudem mit dunklen Augen an.
Eine stand vor, die andere hinter ihr. Eine perfektere Falle konnte es nicht geben, das wusste auch Jane, und sie merkte, wie sich ihr Magen allmählich zusammenzog. Auch wenn die Zwillinge sie anlächelten, Freunde waren sie nicht.
Jane blieb zwar auf der Stelle stehen, aber sie drehte sich und konnte sich mit dem Rücken gegen ein Stück Wand zwischen zwei Fenstern lehnen, so war es ihr möglich, beide Frauen einigermaßen im Blick zu behalten.
»Gefällt es dir hier oben?«, fragte Fiona.
»Ja, es ist toll«, antwortete Jane ehrlich.
»Es ist wirklich der beste Platz!«, stimmte auch Florence zu. »Hier oben ist man frei. Man schaut auf die anderen Menschen hinab. Man sieht, wie klein sie sind, und man selbst steht über allem. Es ist einfach Wahnsinn. Hier wird die Welt relativiert. Ein wunderschöner Ort auf der einen Seite, aber ein gefährlicher auf der anderen. Denn wie überall im Leben gibt es auch hier
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