Durch den Wind
klackerten mehrere hölzerne Armreifen. Die zwei Männer am Tisch neben ihr unterbrachen ihr Gespräch.
Alison stand auf, nahm ihr Telefon wie einen Fremdkörper in die Hand – es war leichter als ein Meteorit, viel leichter –, nickte der Kellnerin zu (Eduard? – niemals!) und ließ sich von Siri in die Arme schließen.
»Was ist passiert?« fragte Siri und schob sie ein Stück weit von sich weg, um in ihrem Gesicht zu lesen. Ihre Haut war weich, weiß und glatt.
»Die Frau hat meinen Namen«, sagte sie.
»Welche Frau?« fragte Siri.
»Die Frau in Japan.«
»In Japan?«
»Wie seltsam sich ihre Stimme anhörte«, sagte sie, »fast genau wie meine.«
Siri schwieg und setzte sich mit ihr in Bewegung: »Du bist nicht betrunken, oder?«
Alison schüttelte den Kopf, musste lächeln: »Nein, aber eigentlich keine schlechte Idee.«
»Welche Frau? Von welcher Frau sprichst du?« fragte Siri.
»Von einer Frau in Japan, die wie ich spricht und meinen Namen hat.«
»Was soll das heißen?«
»Das weiß ich auch nicht, vielleicht habe ich eine Doppelgängerin«, antwortete sie. »Vielleicht gibt es mich noch mal in Japan?«
Siri griff sie am Oberarm, so als wollte sie sie schütteln: »Was redest du da?« fragte sie. Dann winkte sie ab, öffnete die Beifahrertür, drückte Alison in den Sitz, stieg ein und fuhr los. Bei jedem Abbiegen klackerten ihre Armreife. Unter dem Trenchcoat kam eine violette Seidenmanschette zum Vorschein. Sie roch nach einem samtigen Parfum, und ihre Haare glänzten. Wie man nur so aussehen konnte!
An der nächsten Ampel schaute Siri sie an und sagte: »Wirfahren jetzt ins Aquarium, dort sind genügend giftige Tiere, um in Ruhe über diese Frau zu sprechen – wer auch immer sie ist.«
Alison lehnte sich zurück. Genau das würde sie herausfinden müssen – wer auch immer sie ist.
»Wie findest du eigentlich diese Kellnerin?« fragte Siri, nachdem sie am Friedrichstadtpalast mit seinem riesigen Plakat der zwanzig rotperückten Tänzerinnen in die Reinhardtstraße abgebogen war.
»Warum?«
»Nur so«, antwortete sie, während sie an ihrem goldenen Ohrring herumschraubte. Die Armreife klackerten wieder, als sie sagte: »Ihre Haare sind schön, das Rot ..., es ist nicht so wie deins, aber ...«
»Vergiss sie«, sagte sie, dankbar dafür, dass Siri sie über eine andere Frau nachdenken ließ.
Alison schüttelte fast unmerklich den Kopf.
»Deine Haare sehen schön aus so offen. Das steht dir viel besser als der Zopf. Du siehst aus wie eine Schauspielerin. Keine bestimmte, einfach wie eine dieser durchscheinenden Schauspielerinnen, die man auf den Theaterbühnen sieht.«
Alison nickte. Zum Glück hatte sie ihre Haare.
»Meinst du, Eduard hat was mit ihr?« fragte Siri dann abrupt und ließ ihren Ohrring los.
»Nein«, sagte sie, »er vergöttert dich. Du bist sein Ein und Alles.«
Siri strich sich eine lose Strähne hinters Ohr: »Das entspricht seinem Bild.«
Auf dem Weg vom Parkhaus ins Aquarium hielt Alison ihren Blick auf den Boden gerichtet. Sie würde einfach weitergehen, sich nicht zu viel umschauen. Auf einmal bekam sie Angst, inihr eigenes Gesicht zu blicken. Sie versuchte den Gedanken sofort wieder zu vertreiben und ging schnell an den Leuchtquallen und den Zitteraalen vorbei in die Abteilung mit den Gifttieren. Siri zeigte ihr den Smaragdfrosch, an dessen Scheibe ein Totenkopfsymbol prangte.
»Er springt seine Opfer an, und wenn sie einen kleinen Riss in der Haut haben, dann sterben sie in kürzester Zeit. Wie hübsch er ist, wie wunderhübsch«, sagte Siri.
»Ob sie auch so aussieht wie ich?« fragte sie.
»Glänzend schwarz mit orangefarbenen Flecken«, setzte Siri ihren Satz fort.
»Ob sie nur so aussieht oder ...?«
»Es gibt ihn auch mit grünen Flecken, und da ist er genauso giftig, die unterschiedliche Färbung macht keinen Unterschied«, sagte Siri und schaute in die Terrarien.
»Wie weit das wohl geht mit ihr und mir?« fragte sie leise.
»Die Indianer haben mit dem Gift der Frösche ihre Pfeilspitzen getränkt.«
»Vielleicht denkt Victor, ich wäre sie.«
»Jeder Treffer schickt ihre Feinde in den Tod.«
»Oder sie wäre ich.«
»Alison«, sagte Siri dann plötzlich und sah sie an. »Wovon sprichst du?«
Siri hielt den Blick.
»Ich glaube nicht, dass ... also, wenn es diese Doppelgängerin tatsächlich gibt, von der du redest, dann hast du dich selbst angesprungen und erlegt.«
»Ich?«
Siri schaute sie an: »Du hast dein
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