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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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war er noch nie zu ihr gewesen, er war kein gemeiner Mensch.
    »Eduard?« fragte sie jetzt mit sanfterer Stimme, dann machte sie eine lange Pause: »Ich habe mich nicht umgebracht.«
    Er drehte seinen Kopf, schaute ihr in die Augen und sagte: »Ich weiß.«
    Sie schwiegen, dann sagte er mit einem Zittern in der Stimme: »Ich möchte dich so gerne ...«
    »Umbringen?« fragte sie.
    »Glücklich machen«, antwortete er, als hätte er ihre Frage nicht gehört.
     
    Felix kam nicht ins Krankenhaus, kein einziges Mal. Eduard fand, es war besser so, und vielleicht hatte er sogar recht. Solche Dinge konnte sie immer weniger beurteilen.

 
    Plötzlich stand ihr Bruder vor ihr.
    »Mutter ist wieder wach«, sagte er.
    »Ich weiß«, sagte Yoko. »Wo wart ihr?«
    »Wir wollten dich ein bisschen alleine lassen. Du warst lange nicht hier. Wir wollten dich von Vater Abschied nehmen lassen.«
    »Denkt Mutter, dass er noch lebt?« fragte sie.
    »Manchmal, aber meistens denkt sie, er hätte sich umgebracht, weil sie ihm keine gute Gesprächspartnerin war.«
    »Ich ...«
    »Und du denkst, du hättest ihn umgebracht«, sagte er.
    »Aber ...«
    »Und beides stimmt nicht. Er ist gestorben, weil er krank war. Schon seit Jahren, er hatte diesen Krebs schon lange, bevor das mit dir und den Ausländern anfing.«
    »Lange bevor ...«
    »Er hätte sich nie umgebracht, und er hätte sich auch nie umbringen lassen.«
    »Ich war es nicht«, sagte Yoko zu sich selbst, »ich war es nicht.«
    »Sollen wir jetzt zu ihr?« fragte er. »Sie will so gerne hören, wie es dir geht.«
    Sie nickte und fragte: »Wo ist sie?«
    »Im Wohnzimmer.«
    Yoko schaute ihn fragend an.
    »Alles ist anders, seit du weg bist. Und nichts lässt sich mehr so erklären, dass es einen einzigen Sinn ergibt. DeinWeggehen hat einen Riss hinterlassen, mitten durch alles hindurch – und seitdem ist alles gleichzeitig links und rechts, wahr und unwahr, Tag und Nacht.«
    »Aber ...«, flüsterte Yoko.
    »Am Anfang bin ich fast verrückt geworden, aber inzwischen ...«
    Yoko setzte sich aufs Bett und schaute an ihren nackten Beinen hinunter.
    »Inzwischen fühle ich mich wohler als vorher, wo alles noch an seinem Platz war, wo die Logik groß genug war für alles«, er machte eine kleine Pause. »Sollen wir jetzt zu Mutter gehen? Sie ist so weit.«
    Yoko blieb sitzen. »Ich ..., es tut mir leid«, flüsterte sie, »es tut mir so leid. Ich wusste nicht, was ...«
    »Nein«, sagte er und griff sie sanft am Arm, »du hast mir das Leben gerettet. Ohne dich wäre ich an meinem Weltbild erstickt.«
    Yoko lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Nach ein paar Minuten sah er sie fragend an, und sie gingen ins Wohnzimmer.
     
    Ihre Mutter saß auf dem Sofa und schaute wieder durch sie hindurch, aber diesmal mit einem gänzlich anderen Ausdruck in den Augen.
    »Yoko, bist du das? Bist du allein gekommen?« fragte sie, und ihre Stimme klang sanft, interessiert, mütterlich.
    Yoko schluckte, schüttelte dann den Kopf. Alison schoss ihr durch den Kopf.
    »Hast du deinen Mann mitgebracht? Willst du ihn uns nicht vorstellen?« fragte ihre Mutter.
    Ihr Bruder erhöhte den Druck auf ihren Arm. Yoko dachte an James, den Mann, der aus ihrer Wohnung verschwundenwar, an seine Augen, seinen Blick, dann sagte sie: »Er konnte leider nicht kommen, er hat in Berlin zu tun, aber er schickt Grüße.«
    »Schade, das ist schade«, sagte ihre Mutter, »das nächste Mal musst du ihn aber mitbringen, weil ... war er denn schon einmal in Japan?«
    Yoko schüttelte den Kopf.
    »Dann müsst ihr zur Kirschblüte kommen, dann müsst ihr kommen, wenn die Kirsche blüht. Gibt es denn da, wo seine Familie herkommt, auch Jahreszeiten?« fragte ihre Mutter, immer noch den Blick durch sie hindurch auf einen Punkt gerichtet, der zu verschwinden, der ihr keinen Halt zu geben schien.
    Yoko schüttelte den Kopf.
    Diese Frage. Es war alles anders geworden und doch alles gleich geblieben. Sie lächelte und senkte den Kopf. In ihrem Ohr klang der Satz ihres Vaters von den Alpen wie ein Echo wider.
    »Kinder wolltest du ja nie«, sagte ihre Mutter dann leiser.
    Yoko richtete ihren Blick wieder auf. Nein, Kinder wollte sie nie.
    »Siehst du, das wusste ich«, sagte ihre Mutter, »und dein Vater hat es auch schon immer gewusst: Du bist ein Blatt im Wind, eine Feder, ein Vogel. Wann geht dein Flug?«
    »Morgen«, sagte Yoko.
    »Schön, dass du mal wieder hier warst. Wir hatten gedacht, du wärst gestorben«, sagte die

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