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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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Schulmädchen komme ich mir vor. Wie ein Schulmädchen, das etwas Schlimmes verbrochen hat.«
    »Aber warum ...?«
    »Die Kraft. Die Kraft hat genau für den Aufbruch gereicht, und dann war sie weg. Aber weißt du was?«
    Siri schaute sie an.
    »Es hat sich trotzdem gelohnt. Ich habe das Leben wieder, ich spüre es wieder. Ich musste es mir wohl einmal von außen anschauen, um es zu sehen. Dafür war es noch nicht zu spät.«
    Siri ging ein paar Schritte zurück. Herr Kowachek rief aus dem Nebenzimmer: »Soll ich auch die Küchensachen einpacken?«
    »Alles, Pavel, alles. Wir fahren nach Hause.«
    Siri blieb stehen, lauschte den Worten nach.
     
    »Du bist blass, geht es dir nicht gut?« fragte ihre Großmutter plötzlich und zog die Augen zu Schlitzen zusammen.
    »Ach ..., nichts«, antwortete Siri.
    »Du hast es so gut mit deinem Eduard, hörst du, dir wird so etwas nie passieren. Er ist so ein Glück für dich, so ein Glück, oder?«
    »Großmutter ...«, sagte Siri und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
    »Er ist so ein großzügiger Mann.«
    »Großmutter ...«, sagte Siri noch einmal, »mir wird schlecht.«
    Siri setzte sich.
    Ihre Großmutter schaute sie forschend an und setzte sich dann neben sie: »Hast du mir was verschwiegen?«
    »Was?« fragte Siri und merkte, wie ihr das Blut langsam wieder in den Kopf stieg.
    »Darf ich raten?«
    Siri drehte den Kopf zur Seite.
    »Ich weiß es: Du bist wieder schwanger. Stimmt’s? Was für ein Glückskind du bist. Gleich, als du reinkamst, habe ich mir das gedacht, weil du so blass bist.«
    Siri wendete den Kopf wieder ihrer Großmutter zu und lächelte sie an.
    »Vielleicht wird’s ja eine Tochter oder noch ein Sohn. Noch ein Sohn wäre doch auch schön«, sagte ihre Großmutter.
     
    Der Zug, in dem sie saß, fuhr weiter, immer weiter von dem Leben weg, das ihres war, aber er fuhr, und wie ihre Großmutter gerade gesagt hatte, er ratterte in den Ohren. Sie würde einfach weiterfahren. Vielleicht war das die Lösung: einfach weiterfahren. Immer weiterfahren.

 
    Friederike stand im Untergeschoss des Lafayette-Kaufhauses vor der Theke mit den Törtchen. Vielleicht war Stasiuk auch der falsche Weg gewesen, vielleicht hatte sie die Latte für den Wegweiser in ihr Leben damit einfach zu hoch gehängt. Vielleicht sollte sie sich lieber an Barbara Cartland halten, die rosagefärbte, Schmonzetten schreibende Stiefgroßmutter von Lady Di. Und wo, wenn nicht hier, nur eine Glasscheibe vom Törtchenhimmel entfernt, wäre der beste Ort, um mit dem Leben à la Cartland anzufangen? Für jemanden, der diese Theke noch nie gesehen hatte, war es wahrscheinlich schwer, sich vorzustellen, welche Formen und Farben Törtchen haben konnten, die man tatsächlich kaufen und essen konnte. Friederike stand jedenfalls immer erst einmal eine ganze Zeitlang davor, bevor sie sich schweren Herzens und mit der metaphysischen Gewissheit der Brutalität von Entscheidungen für mindestens zwei von ihnen entschied, an Tagen wie heute für drei. Es gab aufgetürmte, perfekt geformte, exakt gleichgroße Himbeeren in einem Oval aus Maracujacreme; es gab bestäubte Schokoladeniglus mit einer Füllung aus drei verschiedenen Mousses mit hauchdünnen Krokantplättchen dazwischen; und kleine, vollmondrunde Tartes aus Blätterteig, auf denen kleine Aprikosen wie geblähte Engelbäckchen schlummerten, eingehüllt in ein süßes, die Aprikosenfarbe lackierendes Gelee.
    Sie kniete sich neben ein Mädchen, das hinter ihr in der Schlange stand, und fragte: »Was meinst du, was soll ich nehmen?«
    Das Mädchen schaute sie erst schüchtern, dann schelmisch an: »Na, die Schokobombe natürlich.«
    »Gute Wahl. Ich hatte schon Sorge, dass du keine Schokolade magst.«
    Das Mädchen lachte und blähte die Wangen, wie Kinder das manchmal tun, wenn sie etwas besonders Sonderbares hören oder Erwachsene bei einem Witz ertappt haben.
    Die Mutter der Kleinen sagte: »Als ich mit ihr schwanger war, waren wir beide manchmal jeden Nachmittag hier. Sie kannte das ganze Sortiment also schon, bevor sie überhaupt auf die Welt gekommen ist. Wenn es eine Expertin für diese Theke gibt, dann dich, nicht wahr, Lulu?«
    Lulu strahlte und fragte: »Bekommst du auch ein Baby?«
    Die Mutter zog Lulu am Ärmel: »Das fragt man nicht, wenn man’s nicht sieht, Lulu.« Sie entschuldigte sich bei Friederike, und Friederike sagte zu dem Mädchen: »Was glaubst du – Mädchen oder Junge?«
    »Mädchen natürlich. Jungs mögen

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