Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
Vom Netzwerk:
nie hätte aussprechen dürfen. Sie hatte all das auf den Anrufbeantworter gesprochen, der im Flur der Wohnung stand. Wenn Eduard die Nachricht als Erster abhörte, dann würde ein Großbrand ausbrechen. Ein Großbrand in einer Familie, in der ein Kind versuchte, groß zu werden.
     
    Der Barkeeper begrüßte Alison mit kurzem Nicken. Sie wollte sich vorstellen, wie Siri allein nach Hause kam, die Nachricht hörte, sie löschte und sich im Wohnzimmer einen Drink machte. Dass Siri ihr diese Ehrlichkeit nicht übelnahm, es immer geschätzt hatte, wenn jemand die Dinge beim Namen nannte, wusste sie. Dann wäre alles halb so schlimm, aber was, wenn Eduard ihre Nachricht zuerst hörte?
    Der Barkeeper brachte das Gleiche wie gestern. Nach den ersten paar Schlucken beruhigte sie sich etwas und schaute sich um. Sie hatte schon zwei dieser Augenwinkel-Erscheinungen, und in ihrem Magen formierte sich eine harte Scheibe, diesich glatt und scharf anfühlte wie ein Spiegel. Als der Barkeeper die Wasabi-Erbsen vor sie hinstellte, griff sie (überraschend für ihn und auch für sie selbst) sein Handgelenk und fragte: »Verzeihen Sie, aber ...?«
    Der Barkeeper starrte auf sein Handgelenk: »Kann ich Ihnen noch etwas anbieten?«
    »Ja, das können Sie, ich möchte wissen, ob heute schon jemand da war, der aussieht wie ich.«
    »Ich ...«, stotterte der Barkeeper.
    »Gestern fiel Ihnen die Antwort nicht so schwer.«
    »Gestern?« sagte der Barkeeper, »gestern hatte ich keinen Dienst.«
    »Ach so«, sagte Alison und ließ sein Handgelenk los, »ach so.« Sie atmete einmal tief durch. »Dann bringen Sie mir doch einfach noch ein Glas Sake, das so voll ist, dass es überläuft«, sie lächelte ihn an, als wäre nichts geschehen.
    Der Barkeeper verbeugte sich kurz, rieb sich das Handgelenk, brachte ihr das zweite Glas Sake und stellte es neben das erste, das sie erst halb getrunken hatte.
    Noch vor einer Woche hätte sie nicht einmal die Krawatte eines Fremden angefasst, geschweige denn sein Handgelenk; noch vor einer Woche hätte sie zwei Stunden an diesem Tresen gesessen und darüber nachgedacht, was der Barkeeper wohl wusste und wie sie es ihm entlocken könnte, ohne ihm zu nahe zu treten. Vor zwei Wochen war vielleicht in ihrem Leben auch genug so klar gewesen, dass ein paar blinde Flecken erträglich oder sogar aufregend gewesen wären. Jetzt war es genau andersherum. Und das Oberteil ruhte auf ihren Schlüsselbeinen, als hätte sie es eben erst angezogen.
     
    Drei junge, gutgekleidete Japanerinnen nahmen neben ihr Platz und bestellten Bier. Die drei lächelten sie an, sie lächelte zurück, und die eine sagte dann: »Steht Ihnen gut. Das grüne Oberteil, meine ich. Ihr Mann hat nicht eine Sekunde gezögert. Er ist in unsere Boutique gekommen, hat es vom Bügel genommen und bezahlt. Wisst ihr noch?« fragte sie, und die anderen beiden nickten. »Jetzt weiß ich, warum. Es ist wie für Sie gemacht. Ich fand immer schon, dass Grün am besten an rothaarigen Frauen aussieht.«
    Alison nickte, schluckte, trank einen großen Schluck und versuchte sich auf dem Stuhl zu halten. Ihr Mann? Sie atmete einmal tief durch und fragte dann mit halbgeschlossenen Augen: »Darf ich Sie was fragen?«
    Der Barkeeper zuckte zusammen und ging ans äußerste Ende seiner Bar. Die junge Verkäuferin antwortete: »Ja, natürlich, alles, nur nicht den Preis, den darf ich Ihnen nicht verraten, schließlich war es ein Geschenk, oder?«
    »Nein, keine Sorge. Es geht um etwas anderes. Ich will Sie was ..., was fragen, was seltsam klingt, und Sie müssen mir versprechen, dass Sie mich nicht fragen, was das soll: Können Sie mir beschreiben, wie mein Mann aussah?«
    Die jungen Frauen schauten erst sie, dann sich untereinander entgeistert an, dann kicherten sie und fragten: »Meinen Sie, ob er gutaussehend war?«
    »Nein, nein, ich meine: War er Europäer, braunhaarig, groß mit blauen Augen, oder war es ein Japaner?«
    Die Verkäuferinnen konnten nun ihr Lachen nicht mehr unterdrücken und prusteten los.
    »Nein, nein, verzeihen Sie, aber bitte antworten Sie: Wie sah er aus?«
    »War das gar nicht Ihr Mann?«
    Alison schüttelte den Kopf: »Ich weiß es nicht, bitte ...«
    Der Barkeeper murmelte etwas Japanisches in die Richtung der Japanerinnen, woraufhin die eine, die losgeprustet hatte, nun ganz ernst und forschend in ihre Richtung schaute.
    Gut, dachte Alison, alle hier im Raum denken nun, ich bin eine Psychopathin, aber das ist egal, ich muss jetzt

Weitere Kostenlose Bücher