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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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zu wissen, wo das ganze Gift wohnt.«
    »Siehst du«, sagte Felix, »du weißt das, weil du meine Mamibist. Aber Anna weiß das nicht, weil sie nicht meine Mami ist. Sie denkt wahrscheinlich, ich grusele mich hier.«
    »Deine Mami«, sagte Siri und schluckte wieder.
    »Und weißt du noch was: Ich mag die Anna schon, aber ich mag ihre Haare nicht, ich mag keine roten Haare, weil ich immer denke, die brennen. Rote Frösche mag ich und rote Autos. Ferraris und so was, aber rote Haare mag ich nicht. Ich mag deine Haare, ich mag’s, wenn die Haare so sind wie deine – so glatt und blond.«
    Felix.
    »Mami«, fragte er jetzt, »bist du wirklich gestorben?«
    Sie kniete sich wieder hin (jetzt bloß nicht weinen, keine einzige Träne!) und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken: »Wer sagt denn so was?«
    »Ich meine: fast.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Haben die Ärzte wirklich gesagt, dass du fast gestorben wärst?« fragte er.
    »Felix: woher hast du denn so was?«
    »Von Papi. Ich hab ihn telefonieren gehört. Es war ganz dunkel draußen, und ich konnte gar nicht schlafen. Ich weiß auch nicht, aber ich glaube, er hat mitten in der Nacht telefoniert. Und da hab ich’s gehört.«
    »Aber ...«, sie atmete, setzte noch einmal neu an: »Ja, die Ärzte haben wahrscheinlich so was gesagt, aber wir glauben ihnen nicht. Die Engel wissen es viel besser, und die haben dafür gesorgt, dass ich bei dir bleiben kann. Du musst ganz fest an die Engel glauben.«
    »Papi glaubt nicht an Engel«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Das hat er mir mal erzählt. Und Paul aus dem Kindergarten hat das auch gesagt.«
    »MancheSachen kann man auch nicht wissen, manche Sachen kann man nur glauben. Und Paul und Papi glauben nicht an Engel, aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Es gibt sie, und du kannst an sie glauben. Sie können fliegen und glitzern.«
    Seine Augen funkelten durch die Tränen hindurch. »Dann können sie ja immer am Tod vorbeifliegen, oder?«
    »Ja, das können sie, und dann schaut der Tod dem Glitzern hinterher und vergisst, was er wollte«, sagte sie.
    »Toll«, sagte er, »er vergisst es einfach.«
    Sie schwiegen eine Weile, dann fragte er leise: »Vergisst du es dann auch? Ich meine, dass du sterben wolltest?«
    Oh, mein Gott.
    »Ich wollte leben«, sagte sie und schaute ihn mit ganz festem Blick an, »leben.«
    Sein Gesicht erhellte sich ganz langsam, dann strahlte er und sagte: »Ich hab’s mir schon so gedacht. Genau so hab ich’s mir gedacht.« Er fuhr mit dem Finger an der Glasscheibe des Terrariums mit den Pfeilgiftfröschen entlang: »Und jetzt hab ich Hunger.«
    »Na, dann los. Froschschenkel oder Pommes frites? Was willst du?«
    Er grinste, nahm ihre Hand und sagte: »Jetzt weißt du, was ich denke. Stimmt’s?«
    »Froschschenkel«, sagte sie, und er boxte ihr ins Bein.
     
    Sie drehten den Gifttieren den Rücken zu und gingen aus dem Aquarium heraus, die überfüllte Straße entlang ins Parkhaus. Sie hielten sich die ganze Zeit an den Händen und schauten sich an, zitternd und froh. Vielleicht sollten sie doch zu Vera ziehen, vielleicht könnten sie es schaffen, wenn sie nur nicht mehr nach Hause müssten.
     
    Es dämmerte schon, als sie in der Wohnung ankamen. Eduard war noch nicht da. Siri warf Mantel und Handschuhe über den Sessel, half Felix aus seinen Stiefeln und drückte auf den Knopf des Anrufbeantworters. Mit einigem Knarzen und Rauschen erklang Alisons Stimme: »Siri, ruf mich an, ich mach mir Sorgen, ich kann dich im Krankenhaus nicht erreichen, deswegen ruf ich jetzt auf dem Handy an, obwohl du das ja im Krankenhaus nicht benutzen kannst, oder? Jedenfalls ... Eduard, Eduard – was soll ich sagen? Ich sag’s jetzt einfach, weil ich es fragen muss: Glaubst du, dass er was damit zu tun hat? Ich meine, dass er dir was antun wollte? Die neuen Medikamente, die er dir mitgebracht hat ...«
    Dann plötzlich: »Oh, Gott, ich sehe gerade: das ist nicht deine Handynummer, das ist ... es tut mir leid, oh, Gott, ich hoffe nur, dass ...« Dann knackte und tutete es.
     
    Felix stand wie angewurzelt in seinen dunkelblauen Strumpfhosen. Sein rechter Strumpf hatte ein Loch. Der nackte Zeh bohrte sich durch das Loch und starrte genauso regungslos in ihre Richtung wie er selbst.
    Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie überlegte keine Sekunde, sondern kniete sich vor ihn hin, nahm ihn an beiden Schultern und sagte: »Alison ist in Japan. Ich habe sie aus dem

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