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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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Krankenhaus angerufen, direkt nach der Operation. Ich war ganz durcheinander von der vielen Medizin. Das ist so, wie wenn man schlimm träumt. Ich habe da Sachen gesagt, die ich jetzt schon nicht mehr weiß und die so wenig stimmen, wie wenn man von schlimmen Sachen träumt. Dein Vater wäre der letzte Mensch auf der Welt, der mir was Böses tun würde. Und ich und du, wir beide, sind doch die Menschen, denen er am wenigsten was Böses tun würde, wir sind doch die Menschen, die er am meisten beschützt. Es war ein schlimmer Traum, hörstdu? Ein schlimmer Traum. Jetzt müssen wir schnell alle Lichter anmachen, und nachher rufe ich Alison an, und dann lachen wir uns über meinen schlimmen Traum kaputt.«
    Felix nickte und schluckte einmal – und in diesem Schlucken lag so viel Tapferkeit, wie ein Mensch nur aufbringen konnte, egal wie groß er war oder wie klein.
    Felix schaute auf das Loch in seinem Strumpf und fragte mit belegter Stimme, die sich von Wort zu Wort freizukämpfen versuchte: »Warum sagst du eigentlich immer Kartoffel dazu, wenn ich ein Loch im Strumpf habe?«
    Sie lachte: »Siehst du? Deine Mami sagt manchmal komische Sachen, die keinen Sinn haben, aber: Sie hat dich lieb, und sie wird dir jetzt einen großen, warmen Kakao machen. Willst du?«
    Er nickte wieder, dann flüsterte er vor sich hin: »Du hast mir aber nicht geantwortet.«
     
    Sie machte die Milch warm und rührte zwei gehäufte Löffel Kakaopulver hinein – in einer großen, kreisenden Bewegung. Und mit jedem Kreis, den ihre Hand vollzog, rundete sich ihr Gedanke: Jetzt war es endgültig vorbei, jetzt würde sie für immer hierbleiben müssen, bis an ihr Lebensende. Jetzt würde sie es einfach aushalten müssen. Denn wenn sie jetzt gehen würde, dann würde Felix denken, sein Vater hätte doch versucht, ihr etwas anzutun.
    Sie schluckte, füllte den Kakao in zwei Tassen, stellte Felix seine Tasse auf den Küchentisch, holte die Rumflasche aus dem Schrank und goss ihren Kakao damit auf.
    »Mit einem Schuss«, sagte Felix.
    Sie schaute ihn fragend an.
    »So nennt man das doch: Kakao mit einem Schuss, oder? Das, was du da trinkst.«
    Sie nickte: »Ja, mein Schatz, so nennt man das. Mit einem Schuss.«
    »Schluss«, sagte Felix.
    Sie schaute ihn wieder fragend an, setzte den Becher ab und hielt den Atem an.
    »Das reimt sich doch: Schuss und Schluss«, sagte Felix.
    Sie nickte, ließ den Kopf in beide Hände sinken und versuchte dabei eine Haltung zu finden, mit der sie weitermachen konnte.

 
    Friederike lag angezogen auf ihrem Bett und strich sich über den Bauch, in dem jetzt die Törtchen schlummerten. Die orangefarbenen Vorhänge waren zugezogen. Es dämmerte. Vielleicht sollte sie einfach mehr essen. Wenn man so satt war wie sie, dann hatte die Sehnsucht es schwer durchzukommen; dann sprudelte das Blut nicht durch den Körper und überlieferte die Botschaft in jede Zelle, sondern trieb langsam in seinem Kreislauf herum.
    Heute fühlten sich sogar ihre Rundungen weich an und nicht wie etwas, was eigentlich nicht zu ihr gehörte, was sie sich immer wegdachte, wenn sie an ihren Körper dachte. Noch hatte sie keinen Schwangerschaftstest gemacht, aber ... sie hatten ohne Verhütung miteinander geschlafen an einem der gefährlichen Tage, und sie fühlte sich schwanger. Vielleicht sollte sie es Tom heute nach dem Konzert schon einmal sagen. Warum sollte sie warten, bis sie sicher war, wieso sollte er nicht mitbekommen, wie es sich anfühlte mitten im Leben?
     
    In der Akademie der Künste.
    Als sie ihren Sitzplatz gefunden hatte, weit hinten im großen Saal, ließ sie sich in den Sessel sinken und beobachtete, wie Tom auf der Bühne stand und seine Trompete für den großen Auftritt hätschelte. Noch war das Konzert nicht losgegangen. Es war gut besucht. Das Publikum war ziemlich verstaubt, aber gutwillig. Auf ihrer rechten Seite saß ein älteres Ehepaar, das sich Kinderphotos anschaute, die in einem großen Umschlagsteckten. Die Großmutter war sichtlich gerührt, und der Großvater deutete auf dieses oder jenes Bild und grummelte etwas vor sich hin, das seine Frau nicht einmal zu verstehen versuchte. Irgendwann beugte sich die Frau zu Friederike hinüber und fragte: »Und wie alt sind ihre?«
    »Ich ...«, sagte Friederike und wurde schlagartig rot, »ich ..., wir haben noch keine«, sagte sie dann und versuchte das Gespräch damit zu beenden.
    Die alte Dame schaute sie mitleidig an, hob die Schultern und drehte sich wieder

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