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Durch die Hintertür

Durch die Hintertür

Titel: Durch die Hintertür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lear
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befand mich in einer Zwickmühle. Ein Teil von mir wollte nichts anderes, als den Tumult im Hause ausnutzen, um Morgan in unser Gästezimmer zu locken und ihm den ganzen Nachmittag lang das Hirn aus dem Leib zu vögeln. Doch ein anderer Teil von mir wollte unbedingt herausfinden, was wirklich im Arbeitszimmer des Parlamentsabgeordneten Sir James Eagle vor sich gegangen war – um das zu verstehen, muss man wohl etwas mehr über mich wissen.
    Ich, Edward Mitchell, wuchs in Boston als Sohn wohlhabender Eltern auf, mein Vater war Kaufmann und meine Mutter eine Erbin. Schon als Kind war ich süchtig nach Kriminalgeschichten – meine erste große Liebe. Im Alter von sieben las ich Conan Doyles Eine Studie in Scharlachrot , und von da an verschlang ich jede Geschichte um Sherlock Holmes, die ich in den Buchhandlungen finden konnte. In den öffentlichen Bibliotheken entdeckte ich bald weitere Autoren: G.K. Chesterton, Wilkie Collins und eine junge, vielversprechende englische Schriftstellerin namens Agatha Christie. Natürlich blieb ich Doyle treu, doch als ich zum Mann reifte und mehr Zeit meinen Studien oder sportlichen Tätigkeiten widmete, konnte ich mich mit allem vergnügen, was mir in die Hände fiel, so billig es auch sein mochte. Heftromane waren für wenige Cent zu haben – wenn darin eine Leiche und ein Bulle vorkamen, war ich stets der erste am Kiosk, und nachts im Bett verschlang ich die neue Ausgabe in einem Stück (sofern ich nicht gerade Gesellschaft hatte und die in einem Stück verschlang).
    Dies dürfte verständlich machen, wieso der kleine Teddy Mitchell das brennende Verlangen hatte, Privatdetektiv zu werden. Wie Doyle studierte ich Medizin – und ich schmeichelte mir, einen scharfen Blick für verräterische forensische Details zu haben. Zudem hatte ich einen guten Riecher für Heuchelei und einen Instinkt für die wahren menschlichen Beweggründe. Beides hatte ich mir vielleicht erworben, als ich mit 18, 19 Jahren entdeckte, dass sich in den Geschäftsräumen, Salons, Leihbüchereien und Sportanlagen der Bostoner Mittelschicht Dinge abspielten, die den Vätern der amerikanischen Revolution die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten. Mein erster richtiger Liebhaber war ein prominenter Bostoner Geschäftsmann – er war doppelt so alt wie ich, aber das hielt uns nicht davon ab, uns beinahe drei Jahre lang bei jeder Gelegenheit um den Verstand zu vögeln. Unter seiner kundigen Anleitung entdeckte ich Genüsse, wohin mein Blick auch fiel. Ich war schamlos, hübsch und gut gebaut, und mit einer solchen Kombination bleibt man meiner Erfahrung nach nie auf dem Trockenen sitzen.
    Um mich kurz zu fassen: Ich war ein Medizinstudent von 22 Jahren und wurde von zwei Leidenschaften beherrscht: Schwänze und Schwerverbrecher. Und hier in Drekeham Hall bot sich mir nun beides an. Wofür sollte ich mich also entscheiden?
    Eines war jedenfalls ziemlich sicher: Von seiner bewusstlosen Liebsten würde Morgan nicht befriedigt werden, und er hatte von dem, was ich zu bieten hatte, genug gekostet, um mehr zu wollen. Was die andere Sache betraf: Dank meiner ausgiebigen Lektüre wusste ich, dass ein Schnüffler unter keinen Umständen eine heiße Spur erkalten lassen durfte. Man sollte die Beweise sammeln, solange sie noch frisch sind, dann hat man eine weitaus größere Chance, das entscheidende Indiz zu entdecken, das allen anderen entgangen ist und das zur Lösung des Falles führt.
    Mit diesen Gedanken fasste ich den Entschluss, lauschen zu gehen – aber nicht ohne zuvor mein späteres Vergnügen sicherzustellen, indem ich Morgan gegen die Wandvertäfelung presste, ihm in den noch pochenden Schritt fasste und ihn direkt auf den Mund küsste. Das war ein tollkühner Akt, den ich unter normalen Umständen nie gewagt hätte, doch offenbar hatte die Fährte des Mordes mir den Mut dazu verliehen. Er zog sich weder zurück, noch schlug er mich – er stand bloß da mit offenem Mund, ein Speichelfaden an der Unterlippe (von mir oder von ihm?), ein glasiger Blick in den Augen. Vielleicht hatte ihn der Geschmack seines eigenen Schwanzes in meinem Mund verwirrt.
    Ja, er würde noch ein Weilchen warten können.
    Kaum war ich um die Ecke – mein erfolgreicher Angriff auf Boy Morgan zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht –, näherte sich mir ein finsteres Wesen, das anscheinend aus dem Nichts kam. Das Wort ›finster‹ ist vielleicht ein rückblickendes Attribut. Doch nein, Leonard Eagle strahlte in der Tat etwas

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