Durch die Hintertür
(immerhin hatte er zwei Kinder gezeugt) – das erklärte den äußerst toleranten Umgang mit sexuellen Abweichungen in seinem Haushalt. Es erklärte außerdem, wieso er sich von seinem abstoßenden jüngeren Bruder derart viel gefallen ließ – offenbar wusste dieser eine Menge und ahnte noch mehr, was die Privatangelegenheiten seines honorigen Bruders betraf.
Also hatte ich nun zumindest ein Motiv für die Tat: Reginald Walworth teilte das Los anderer stümperhafter Erpresser, die sich einfach übernommen hatten. Aber wer hatte ihn umgebracht? Und warum schob man Charlie Meeks die Schuld in die Schuhe? Ganz eindeutig diente er dazu, den Verdacht von der Familie Eagle abzulenken – und dabei handelte es sich um die verbleibenden Verdächtigen, jetzt, nachdem Meeks aus dem Weg war. Leonard, Lady Caroline, Rex und Sir James waren am Nachmittag von Reg Walworths Ermordung in den fraglichen Räumen gewesen. Sir James war herausgestürmt – weil das Verbrechen ihn anwiderte oder er sich weigerte, Beihilfe zu leisten? Ich konnte ihn mir nicht als Mörder vorstellen; er war schließlich ein Mann von größter professioneller und politischer Integrität. Doch konnte ein Mann, dessen Familie und dessen Besitz gefährdet waren, nicht durchaus bis zum Äußersten gehen? Auch Rex erschien mir als Täter unwahrscheinlich – andererseits versteckte er sich, und er war fähig, Menschen zu täuschen. So viel hatte Vince West mich wissen lassen. Blieben noch Lady Caroline und ihr schlangenhafter Schwager. Ihr fehlte es an der körperlichen Kraft, um einen Mann zu erdrosseln, aber seinen Tod mochte sie durchaus gewünscht haben. Also Leonard – er war stark und scharfsinnig, und was seine Moral anging, stand er noch unter einem Wurm. Und was war mit Leonards dubiosen ›Freunden‹ aus London – diesen talentierten, jungen Männern mit den grobschlächtigen Freunden, die er angeblich in seinen Räumen zu Gast gehabt hatte? Und was war mit Simon, dem Hausburschen? Was hatte er gesehen? Wie viel wusste er? Und wie konnte er mir das mitteilen?
Um gegen die Familie Eagle Beweise zu erbringen, musste ich erst einmal die schwierige Frage lösen, wo Charlie Meeks sich an dem fraglichen Nachmittag aufgehalten hatte. Schließlich konnte er schlecht an zwei Orten gleichzeitig sein, und die Möglichkeit eines eineiigen Zwillings – der letzte Ausweg von Krimiautoren auf der verzweifelten Suche nach einer überraschenden Wendung – konnte ich wohl ausschließen. Wie konnte er die Familie in Leonards Gemächern bedient und sein eigenes Zimmer so schnell erreicht haben, ohne durch den Hauptteil des Hauses zu kommen, wo ihn entweder Susie oder Belinda hätten sehen müssen? Wenn ich diese Figur auf den richtigen Platz stellen könnte, würde das Schachspiel sich wie von selbst lösen.
Nach Barretts gründlicher Bohrung saß ich in der Bibliothek, um über all diese Dinge nachzudenken, als ich von der Einfahrt her das Geräusch von knirschendem Kies und plätscherndem Wasser hörte. Ich ging ins Vestibül, spähte durch den Wilden Wein, der vor den Fenstern hing, und sah Hibbert, den zweiten Diener, Chauffeur und Aufseher des Fuhrparks, wie er gerade das Gefährt wusch, auf dem ich unlängst geritten worden war. Er trug seine Chauffeuruniform – graue Hosen mit breitem Ledergürtel, schwarze Stiefel, Schirmmütze –, allerdings ohne Jackett und ohne Hemd. Das war doch zu interessant, um es zu ignorieren, also ging ich nach draußen, um weitere Nachforschungen zu betreiben.
Hibbert hatte einen bestimmten Ruf im Haus: Er war ein Schürzenjäger, verführte die Mädchen von Mrs. Ramage, war der angebliche Verlobte der Küchenmagd Susie und ein bereitwilliger Darsteller in Burroughs’ Stall junger Männer. Als ich ihn betrachtete, wie er den Wagen mit Eimer und Schwamm einseifte, verstand ich, warum er so gefragt war. Sein Körperbau entsprach klassischen Proportionen, die ganz zu seiner Größe von ungefähr 1,75 Metern passten. Seine Hautfarbe war dunkel, was auf indische Vorfahren hindeutete, und dank seiner offenkundigen Liebe zur Sonne war sie noch dunkler als ohnehin. Brust, Bauch und Arme waren behaart.
Ich ging zu ihm, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Zum Glück hatte ich ein wenig Ahnung von Autos und machte eine platte Bemerkung über den Bentley von Sir James.
»Ja, Sir, sie ist eine wahre Schönheit. Sehen Sie sich nur das Chassis an. Da geht ganz schön die Post ab.«
Er hatte einen Cockney-Akzent und war weniger
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