Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
Großvater umarmte, Papa fuhr Lasse über die Haare, Großvater steckte sich eine Zigarre an ...
Wenn Cecilie in der letzten Zeit etwas gelernt hatte, dann mit den Ohren zu sehen.
Die fröhlichen Geräusche aus dem Erdgeschoß wichen jetzt leisem Getuschel. Im nächsten Moment kam Papa die Treppe hoch. Er erledigte das mit vier oder fünf Schritten.
»Gesegnete Weihnachten, Cecilie!«
Er legte die Arme um ihre Schultern und zog sie vorsichtig an sich. Dann ließ er sie wieder los und riß das Fenster auf.
»Hörst du?«
Sie hob den Kopf vom Kissen und nickte.
»Also ist es jetzt fünf.«
Er schloß das Fenster wieder und setzte sich auf die Bettkante.
»Krieg ich denn nun neue Skier?«
Eigentlich stellte sie die Frage, weil sie hoffte, er werde nein sagen. Dann könnte sie nämlich wieder einen Wutanfall kriegen, und das war immerhin besser als traurig zu sein.
Papa hielt einen Finger an seine Lippen.
»Keine Sonderbehandlung, Cecilie! Warte ab!«
»Na gut.«
»Bist du sicher, daß du nicht auf dem Sofa liegen willst, während wir essen?«
Sie schüttelte den Kopf. Darüber hatten sie in den letzten Tagen so oft gesprochen. Sie wollte bei der Bescherung ausgeruht sein. Und sie konnte das Weihnachtsessen ja doch nicht vertragen. Davon würde ihr nur schlecht werden.
»Aber alle Türen müssen offenstehen!«
»Natürlich!«
»Und ihr müßt laut reden ... und am Tisch einen Höllenlärm machen.«
»Na klar!«
»Und wenn ihr das Weihnachtsevangelium vorgelesen habt, kommt Oma zu mir und liest es mir noch einmal vor.«
»Wie abgemacht.«
Sie ließ sich auf ihr großes Kissen zurücksinken.
»Gibst du mir den Walkman?«
Er ging zum Bücherregal und reichte ihr Walkman und Kassette.
»Den Rest schaff ich allein.«
Papa küßte sie auf die Stirn.
»Am liebsten würde ich ja jetzt bei dir sitzen«, flüsterte er. »Aber wir müssen auch an die andern denken, weißt du. Ich sitze dann lieber die restlichen Feiertage bei dir.«
»Ich hab doch gesagt, ihr sollt ganz normal Weihnachten feiern.«
»Ganz normal, ja.«
Er schlich aus dem Zimmer.
Cecilie schob die Weihnachtskassette von Sissel Kyrkjeb0 in den Walkman. Bald hatten ihre Ohren die wunderschöne Weihnachtsstimmung aus der Kassette aufgesaugt. Sie nahm die Kopfhörer ab, und - doch, ja, sie saßen schon am Tisch.
Mama las das Weihnachtsevangelium vor. Danach sangen sie »Es ist ein Ros’ entsprungen«.
Dann kam Großmutter die Treppe herauf. Cecilie hatte das alles genauso geplant.
»Hier bin ich, Cecilie!«
»Pst! Lies einfach nur vor ...«
Großmutter setzte sich auf einen Stuhl, der vor dem Bett stand, und fing an:
»Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde .«
Als sie von der Bibel aufblickte, hatte Cecilie Tränen in den Augen.
»Weinst du?«
Sie nickte.
»Aber das ist doch gar nicht traurig.«
Wieder nickte Cecilie.
»Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. - Du meinst, es ist so schön?«
Cecilie nickte zum dritten Mal.
»Wir weinen, wenn etwas traurig ist«, sagte Großmutter nach einer Weile. »Aber wir vergießen auch gern eine Träne, wenn etwas schön ist.«
»Aber wir lachen nicht, wenn etwas häßlich ist?«
Großmutter überlegte.
»Wir lachen über Clowns, weil sie komisch sind. Manchmal lachen wir sicher auch, weil sie häßlich sind . schau her!«
Sie verzog ihr Gesicht zu einer scheußlichen Grimasse. Cecilie prustete los.
Großmutter sagte:
»Vielleicht werden wir traurig, wenn wir etwas Schönes sehen, weil wir wissen, daß es nicht immer da sein wird. Und wir lachen über etwas Häßliches, weil wir wissen, daß es sich bloß aufspielt.«
Cecilie starrte zu ihr hoch. Großmutter war der klügste Mensch auf der Welt.
»Jetzt mußt du nach unten zu den anderen Clowns«, sagte sie.
Großmutter rückte Cecilies Kissen zurecht und streichelte ihre Wange.
»Ich freue mich auf nachher, wenn du auch kommst. Erstmal wird ja nur gegessen .«
Als Großmutter die Treppe hinunterging, tastete Cecilie nach dem Stift und dem chinesischen Notizbuch. Als erstes hatte sie hineingeschrieben:
Ich stehe nicht mehr an einem unbekannten Strand in der Ägäis. Aber die Wellen schlagen noch immer an den Strand, und die Steine rollen hin und her und tauschen bis in alle Ewigkeit die Plätze ...
Sie las, was sie bisher geschrieben hatte. Dann fügte sie hinzu:
Wir weinen,
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