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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Hügel ganz hinten heißt Heksebergäsen. Jessheim liegt in der anderen Richtung.«
    Ariel nickte.
    »Ich weiß das.«
    »Da unten siehst du unsere Scheune. Und hinter dem hohen Baum mit der Lampe kannst du sogar ein Stück vom Haus sehen. Das Fenster links im ersten Stock gehört zu meinem Zimmer.«
    »Ich bin doch schon oft durch das Fenster ein- und ausgestiegen«, sagte Ariel.
    Er schwebte einen Viertelmeter über dem Boden, um Cecilie in die Augen blicken zu können. Seine blaugrünen Saphiraugen glitzerten im Mondlicht. Er sagte:
    »Wenn du jetzt da unten an deinem Fenster stehen und zum Ravnekollen hochblicken würdest, könntest du uns hier oben sehen. Dann könnten wir dir vielleicht zuwinken.«
    Cecilie schlug sich die Hand vor den Mund. Das klang wirklich ziemlich geheimnisvoll!
    Sie wußte plötzlich, daß etwas nicht stimmte, begriff aber nicht, was es war.
    »Mein Vater kann jederzeit ins Zimmer kommen, um nachzusehen, ob ich auch schlafe. Wenn er jetzt kommt, kriegt er einen tierischen Schock. >Um Himmels willen<, sagt er dann. >Der Vogel ist ja aus dem Nest geflogen!«« »Soll ich mal nachschauen, ob er schläft?«
    »Kannst du das denn?«
    Für kurze Zeit war Ariel verschwunden, und Cecilie stand ganz allein zwischen Himmel und Erde. Einige Sekunden hatte sie das Gefühl, einen Zwillingsbruder verloren zu haben. Dann stand er wieder neben ihr.
    »Sie schlafen beide«, versicherte er ihr. »Sie hat ihren Kopf an seinen Nacken geschmiegt. Sie haben den Wecker auf halb vier gestellt.«
    Cecilie atmete erleichtert auf. Sie zeigte wieder auf die Landschaft unter ihnen.
    »Ich habe nie begreifen können, wie der Mond so viel Licht verströmen kann.«
    »Das liegt daran, daß alles andre ganz dunkel ist. Wenn Licht durch Dunkelheit leuchtet, geht unterwegs kein einziger Strahl verloren.«
    »Aber der Mond leuchtet ja eigentlich nicht von selbst«, wandte Cecilie ein. »Er ist nur ein Spiegel, der sein Licht von der Sonne leiht.«
    Ariel nickte feierlich.
    »Aber die Sonne leuchtet eigentlich auch nicht von selbst.
    Sie ist nur ein Spiegel, der sein Licht von Gott leiht.«
    »Ehrlich?«
    »Ich stehe doch hier nicht unter Gottes Angesicht und halte dich zum Narren!«
    »Nein, natürlich nicht ... ich habe mir bloß nie überlegt, daß die Sonne ihr Licht genauso von Gott leiht wie der Mond seins von der Sonne.«
    Sie stützte sich auf ihre Skier und starrte in den Schnee. Als sie wieder aufblickte, stand Ariel nicht mehr neben ihr. Jetzt schwebte er einige Dutzend Zentimeter vor ihr über dem Boden. Er sagte:
    »Auch du leihst dein Licht von Gott, Cecilie. Auch du
    bist Gottes Spiegel. Denn was wärest du ohne die Sonne, und was wäre die Sonne ohne Gott?«
    Cecilie strahlte:
    »Dann bin ich ja auch ein kleiner Mond.«
    »Und in diesem Moment scheinst du auf mich herab.«
    »Wie seltsam das klingt. Alles, was du sagst, hört sich so feierlich an, daß es mir kalt den Rücken runterläuft.«
    Der Engel Ariel nickte.
    »Wenn wir über die himmlische Herrlichkeit sprechen, wird es eben feierlich.«
    »Erzählst du mir jetzt vom Himmel?«
    »Ich bin ja dabei.«
    Er zeigte zum Himmelsgewölbe hinauf. Der Mond war so hell, daß sich nur wenige Sterne als blasse Tupfer daneben abzeichneten.
    »Zuallererst mußt du begreifen, daß du schon im Himmel bist«, sagte er.
    »Das hier ist der Himmel?«
    Der Engel Ariel nickte.
    »Wo sollten wir denn sonst sein? Die Erde ist nur ein kleiner Fussel im gewaltigen Himmelsraum.«
    »So habe ich es noch nie überlegt.«
    »Das hier ist die Himmelserde, Cecilie. Das hier ist der Garten Eden, wo die Menschen leben. Die Engel wohnen auch an allen anderen Orten.«
    »Meinst du, im Weltraum?«
    »Oder im Himmelsraum, aber das ist genau dasselbe.«
    Wieder beugte Cecilie sich über ihre Skistöcke und starrte den Schnee an.
    »Geheimnisvoll«, sagte sie. »Sehr geheimnisvoll.«
    Als sie wieder hochblickte, sah Ariel sie herausfordernd an.
    »Das finde ich nun wirklich sehr einfach.«
    Cecilie schüttelte verzweifelt den Kopf.
    »Ich habe mich immer gefragt, wo der Himmel eigentlich ist«, sagte sie. »Bisher hat kein Raumfahrer auch nur eine Spur von Gott oder den Engeln gesehen.«
    »Und kein Gehirnchirurg hat auch nur die Spur eines Gedankens gesehen. Kein Traumforscher hat sich den Traum eines anderen Menschen ansehen können. Das heißt aber nicht, daß es in den Köpfen der Menschen keine Gedanken und Träume gibt.«
    »Natürlich nicht .«
    »Und niemand an dem langen Strand

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